von RA Frank C. Biethahn (Vertragsanwalt des DFJV)
Journalisten und Medien leben gefährlich. Wer sie in ihrer Berichterstattung beschränken will, kann das mit einer einstweiligen Verfügung versuchen. Oft entscheidet das Gericht ohne Anhörung der Gegenseite, also des Journalisten oder Mediums. Dagegen können die Betroffenen Widerspruch erheben. Dann kann aber oft über Monate hinweg nicht berichtet werden. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser rechtswidrigen Praxis jetzt ein Gegenmittel aufgezeigt.
Der konkrete Fall
Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ waren durch die für ihre Strenge bekannte Pressekammer des Landgerichts Hamburg bestimmte Äußerungen per einstweiliger Verfügung untersagt worden. Der „Spiegel“ bekam dabei vorab nicht die Möglichkeit zur Stellungnahme. Das Gericht hat also entschieden, ohne die Beklagtenseite anzuhören. Das ist nicht unüblich, der DFJV hat auch schon einmal über einen Fall berichtet, in dem Gleiches geschah.
Rechtslage und Gerichtspraxis
Nach dem Grundgesetz hat vor Gericht „jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör„. Ein Gericht soll nicht entscheiden, ohne dass der Betroffene die Möglichkeit hatte, seine Sicht der Dinge darzulegen und damit Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen. So wie guter Journalismus beide Seiten berücksichtigt (audiatur et altera pars), soll ein Gericht gleichfalls beide Seiten anhören und bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Dieses Recht auf rechtliches Gehör wird bei den sog. „Beschlussverfügungen“, also einstweiligen Verfügungen, die ohne mündliche Verhandlung per Beschluss ergehen, von den Gerichten erschreckend wenig ernst genommen. Darauf angesprochen, hat ein Richter dem Verfasser informell mitgeteilt, dass eine vorherige Anhörung des Gegners nicht notwendig sei, denn wenn ihm die Entscheidung nicht passe, könne er ja Widerspruch erheben. Dieser mit dem Grundgesetz kaum zu vereinbarenden Praxis folgen augenscheinlich viele Gerichte, wie die Erfahrung eines wohl jeden einschlägig tätigen Rechtsanwalts zeigt.
Die Zivilprozessordnung erlaubt „in dringenden Fällen“ eine Entscheidung auch ohne mündliche Verhandlung. Das ist jedoch kein Freibrief für das Gericht. Es muss sich um einen „dringenden Fall“ handeln (und da es sich bei Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz sowieso um Eilsachen handelt, muss der Fall dringlicher als „normal“ sein). Darüber hinaus heißt es „ohne mündliche Verhandlung“, nicht „ohne Anhörung des Gegners“. Das ist nicht dasselbe. Im vorliegenden Fall stand das Landgericht z. B. telefonisch in Kontakt mit der Klägerseite, da hätte es auch die Beklagtenseite berücksichtigen können, ganz so „dringlich“ kann es dann ja nicht gewesen sein.
Allerdings war es unter Juristen vor der aktuellen Entscheidung weitgehend anerkannt, dass gegen diese verbreitete missbräuchliche Anwendung des Gesetzes durch die Gerichte kaum etwas zu machen sei. Die Zivilprozessordnung hat dafür keine Sanktion und keinen Rechtsbehelf vorgesehen. Eine Verfassungsbeschwerde kann in aller Regel „erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden„. Zunächst müssen also die „normalen“ Gerichte angerufen werden, erst wenn der Rechtsweg „erschöpft“ ist, darf das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Für eine Beschlussverfügung bedeutet das, dass als erstes Widerspruch erhoben und das „normale“ Verfahren absolviert werden muss. Danach gilt dann aber der Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör als geheilt und kann damit das Bundesverfassungsgericht nicht mehr angerufen werden. Somit blieben solche Verfassungsverstöße in der Praxis folgenlos.
Neben dem Recht auf rechtliches Gehör leitet das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz auch ein Recht auf ein faires Verfahren und „prozessuale Waffengleichheit“ ab. Das Gericht darf z. B. nicht eine der beiden Parteien bevorzugen, ihr gar helfen. Telefonische Kontakte mit nur einer Seite sind danach zwar nicht per se unzulässig, aber natürlich zumindest bedenklich, wenn die andere Seite nicht angemessen berücksichtigt wird.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Dass Verstöße gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs in der Praxis folgenlos bleiben, hat auch das Bundesverfassungsgericht erneut bestätigt. In der Zwischenzeit hatte das Landgericht Hamburg nämlich mündlich verhandelt, damit war der Verstoß „geheilt“. Weil diese „Heilung“ auch vorherzusehen war, musste die Beklagtenseite erst den normalen Rechtsweg wählen und durfte nicht Verfassungsbeschwerde erheben.
Das Bundesverfassungsgericht räumte zwar ein, dass die Gerichtspraxis verfassungswidrig sein könnte. Allerdings sah es sich aus formalen Gründen gehindert, im vorliegenden Fall darüber zu entscheiden. Immerhin eröffnete es für künftige Fälle aber eine Option: Die Betroffenen können in vergleichbaren Fällen Verfassungsbeschwerde gegen die einstweilige Verfügung erheben.
Das sei ausnahmsweise möglich, wenn eine unfaire Gerichtspraxis vor den Gerichten nicht wirksam angegriffen werden könne. Wenn die Beklagtenseite durch die Gerichte vor der Entscheidung bewusst übergangen werde, kann das eine Grundrechtsverletzung sein, diese kann im Gerichtsweg nicht beseitigt werden. Somit könne sofort Verfassungsbeschwerde erhoben werden.
Lösung des Bundesverfassungsgerichts – wirksame Abhilfe?
Das Bundesverfassungsgericht erlaubt nun Verfassungsbeschwerde gegen Beschlussverfügungen. Zugleich stellt es fest, dass auch die Verfassungsbeschwerde die Rechtsverletzungen nicht mehr beseitigen kann; es sei aber nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht aufgrund eines „fortwirkenden Feststellungsinteresses“ entscheiden könne.
Ein „fortwirkendes Rechtsschutzinteresse“ ist dann relevant, wenn der eigentliche Grund im Laufe des Prozesses wegfällt bzw. „erledigt“ ist, aber dennoch ein berechtigtes Interesse daran besteht, dass noch entschieden wird, ob das gerügte Verhalten rechtmäßig war oder nicht. Ein solches Interesse kann z. B. bestehen, um künftige Wiederholungen zu vermeiden. Wann ein „fortwirkendes Rechtsschutzinteresse“ besteht und wann nicht, ist allerdings eine Wertungsfrage.
Fazit
Es ist noch nicht recht klar, ob dieser neue Weg wirklich weiterhilft. Nehmen die Gerichte vielleicht diese Warnung ernst und verhalten sich künftig verfassungskonform? Dann wäre das Problem tatsächlich gelöst. Wer die Praxis kennt, wird daran aber Zweifel haben. Ändern die Gerichte ihre Verfahrensweise nicht, stellt sich die Frage: Wird das Bundesverfassungsgericht in Zukunft für eine positive Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde tatsächlich schon eine unterlassene Anhörung der Beklagtenseite ausreichen lassen? Oder muss das Gericht „besonders unfair“ verfahren und mit der Klägerseite ohne Wissen der Beklagtenseite (die von dem Verfahren ja in aller Regel keine Kenntnis hat) kommunizieren, wie es vorliegend telefonisch geschah?
In jedem Fall werden Betroffene in Zukunft – neben den weiteren Rechtsbehelfen – auch an eine Verfassungsbeschwerde zu denken haben. Diese muss innerhalb eines Monats formgerecht eingereicht werden. Angesichts der hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die Formalien ist das allerdings kein einfacher Weg.
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