OBS-Studie reflektiert kritisch die Rolle der Medien bei „Berichten über Leid und Katastrophen“.
Menschen in Krisensituationen sind oft Thema medialer Berichterstattung. Doch wie sollen Journalistinnen und Journalisten über sie berichten? Und wie sollen sie den Betroffenen begegnen? Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich die Studie „Berichten über Leid und Katastrophen“, aus der die Otto-Brenner-Stiftung vor Kurzem erste Ergebnisse veröffentlicht hat. Ein Ziel der Arbeit ist es, die Krisenkompetenz von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Medienschaffenden durch ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erhöhen. Als Fallbeispiel herangezogen wurde die Ahrtal-Flut, bei der im Juli 2021 viele Menschen Angehörige und Freunde verloren und große materielle Schäden erlitten haben. Die Relevanz des Fokus auf Krisen durch Flut und Starkregen werde auch durch aktuellere Ereignisse bestätigt, heißt es in der Kurzfassung der Studie, die von den Medienwissenschaftlerinnen Dr. Marlis Prinzing, Mira Keßler und Dr. Melanie Radue durchgeführt wurde.
Mithilfe von insgesamt zwanzig Leitfadeninterviews erhebt die Studie die Sichtweise der Betroffenen sowie von Helferinnen und Helfern und stellt deren Wahrnehmung jener von Journalistinnen und Journalisten, die vor Ort berichteten, gegenüber. Die Aussagen der Befragten wurden den Themen Empathie, Sachgerechtigkeit und Empowerment zugeordnet. Dadurch zeigten sich unterschiedliche, aber auch übereinstimmende Erwartungen und Ansprüche an die Berichterstattung.
Betroffene erwarten empathische und konstruktive Berichterstattung
Die Ergebnisse zeigen, dass Betroffene Mitgefühl von den Medienschaffenden vor Ort sowie in der Berichterstattung erwarten. Betroffene sowie Helferinnen und Helfer fordern zudem, dass Emotionen in der Medienberichterstattung – auf sensible und nicht voyeuristische Weise – stärker berücksichtigt werden.
Außerdem erwarten die Menschen von den Medien eine konstruktive Berichterstattung, die Lösungen aufzeigt, motiviert und sich für die Betroffenen einsetzt. Des Weiteren sollte sie kritisch sein (Behörden dürfen – wenn auch zurückhaltend – kritisiert werden) und unabhängig von politischen Agenden erfolgen.
In den genannten Punkten deckten sich die Erwartungen der Betroffenen mit den an sich selbst gestellten Ansprüchen der befragten Journalistinnen und Journalisten weitgehend.
Unterschiede gab es jedoch etwa bei Erwartungen an die zeitlichen Kapazitäten und die Rolle der Journalistinnen und Journalisten. Vonseiten der Betroffenen wurde es etwa als sehr positiv beschrieben, wenn sich Journalistinnen und Journalisten für einen Gesprächstermin viel Zeit genommen hatten und bei Aufräumarbeiten halfen. Nur wenigen war bewusst, dass die journalistische Arbeit als einordnende Instanz der Geschehnisse hier Priorität haben könnte.
Die Medienschaffenden selbst sahen sich zudem mit eigenen mentalen Belastungen durch die Berichterstattung vor Ort konfrontiert.
Empfehlungen für mehr Krisenkompetenz
Wie können Medien sowie Journalistinnen und Journalisten Krisen künftig noch kompetenter begegnen? Die Forscherinnen empfehlen Medienhäusern unter anderem, Journalistinnen und Journalisten Krisen- und Sicherheitstrainings sowie psychologische Schulungen anzubieten. Zudem sollten diese künftig aktiv die Medienkompetenz ihres Publikums stärken, indem sie z. B. Grundwissen über ihre Arbeitsweise vermitteln und auch über widersprüchliche Erwartungen („Berichten oder helfen?“) reflektieren. Vorab könnten zudem bereits „Task-Force-Teams“ mit klaren Aufgaben für den Krisenfall eingerichtet werden. Eine bessere finanzielle Absicherung des Lokal- und Regionaljournalismus als wichtige Anlaufstelle in Krisenzeiten – z. B. durch eine öffentliche Förderung von Krisentrainings – genauso wie eine bessere Zusammenarbeit mit den Behörden sind weitere der von den Studienautorinnen genannten Empfehlungen. Dazu Dr. Marlis Prinzing: „Die Flut im Ahrtal 2021 erreichte auch deshalb so katastrophale Ausmaße, weil Medien unzureichend in die Krisenkommunikation eingebunden wurden. Das muss sich in Zukunft ändern.“
Den einzelnen Journalistinnen und Journalisten legen die Forscherinnen den Fokus auf eine konstruktive, gründliche wie kritische Berichterstattung, die auch langfristige Bewältigungsstrategien von Krisen durch Hochwasser im Blick behält, ans Herz.
Die Langfassung der Studie soll im August erscheinen.
Hörtipp: Dr. Marlis Prinzing spricht mit dem NDR über „Lehren aus der Krisenberichterstattung zur Ahrtal-Flut“: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Lehren-aus-der-Krisenberichterstattung-zur-Ahrtal-Flut,audio1673860.html