von RA Frank C. Biethahn (Vertragsanwalt des DFJV)
Meinungsfreiheit muss nicht zwingend sachlich sein. Sie kann auch eine überspitzte und emotionalere Darstellung umfassen, zumal als „Gegenschlag“ – dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer aktuellen Entscheidung bestätigt. Damit geht eine Stärkung der Meinungs- und Pressefreiheit einher. Medien haben nun mehr Klarheit darüber, was sie veröffentlichen dürfen.
Was der Entscheidung zugrunde lag – die Fakten
Im konkreten Fall ging es um Äußerungen in einem Interview vor dem Hintergrund des Strafverfahrens gegen den als Wettermoderator bekannt gewordenen Jörg Kachelmann. Bekanntlich ist Kachelmann von den Vorwürfen gegen ihn freigesprochen worden, das freisprechende Gericht äußerte jedoch zugleich Zweifel, es sei letztlich unklar, ob Kachelmannn schuldig sei oder unschuldig, der Freispruch sei nur „in dubio pro reo“ erfolgt. Die Person, die das Opfer von Kachelmann gewesen sein sollte, wird im Folgenden als D. bezeichnet.
Nach dem Freispruch äußerte sich Kachelmann in einem Interview zum Prozess und der Person der D., bezichtigte diese u.a. der Lüge und nannte sie „kriminell“. Daraufhin gab auch D. ein Interview. Sie verdeutlichte darin, dass sie nicht gelogen habe und stellte ihre Sicht der Dinge dar. Sie erklärte auch, dass sie eigentlich nicht vorgehabt habe, sich an die Öffentlichkeit zu wenden, das „heuchlerische Interview“ von Kachelmann sie jedoch dazu zwinge. Kachelmann war mit verschiedenen Äußerungen im Interview nicht einverstanden und rief das Landgericht Köln an.
Auffassung von Land- und Oberlandesgericht Köln
Das Landgericht Köln hielt die Äußerungen im Interview für unzulässig, das Oberlandesgericht Köln bestätigte das Urteil im Wesentlichen.
Die Gerichte erkannten, dass für die Äußerungen der D. die Meinungsfreiheit stritt, auf der Seite von Kachelmann das allgemeine Persönlichkeitsrecht griffe. Diese seien gegeneinander abzuwägen.
Einerseits sei D. öffentlich dem Verdacht der Falschbeschuldigung ausgesetzt gewesen und habe insoweit ein „Recht auf Gegenschlag“, zudem bestünde weiterhin ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Andererseits gehe es um den Vorwurf eines schwerwiegenden Verbrechens, und das trotz Freispruches. Die Gerichte nahmen an, dass die Äußerungen zu weitgehend gewesen seien, eine sachliche Äußerung wäre ausreichend gewesen. Die detaillierte, emotionalisierende Darstellung sei zur Verteidigung gegen den Vorwurf der Falschbeschuldigung nicht notwendig gewesen, letztlich habe sie eigennützige Ziele verfolgt. Da der Tatvorwurf gegen Kachelmann nicht bewiesen sei und dieser freigesprochen wurde, hätte D. Zurückhaltung wahren müssen.
Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
Die von D. gegen diese Beurteilung erhobene Verfassungsbeschwerde erklärte das BVerfG für „offensichtlich begründet“, weil die gerichtlichen Entscheidungen das Grundrecht der Meinungsfreiheit verletzten.
Das BVerfG erläuterte, was verfassungsrechtlich in Fällen wie dem vorliegenden zu beachten sei. Entsprechend seiner üblichen Rechtsprechung unterschied es zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen und erklärte, dass auch Tatsachenbehauptungen durch die Meinungsfreiheit geschützt seien, da sie die Grundlage für die Bildung einer Meinung seien. Das BVerfG führt aus, dass unklar sei, ob die Angaben von D. oder Kachelmann der Wahrheit entsprächen. Auf dieser Grundlage betrachtete es die verschiedenen Wahrnehmungen als subjektive Bewertungen, die als Meinungsäußerungen zu behandeln seien. Letztlich handelte es sich dabei um eine Auslegung, um eine Deutung des Aussagegehalts – es wäre wünschenswert gewesen, wenn das BVerfG diese Deutung etwas näher erläutert hätte. Durch diese sehr kurze Fassung besteht die Gefahr, dass der falsche Eindruck der Beliebigkeit entsteht und die Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung verwässert wird.
Was für diese Deutung greift, hat der DFJV in einer umfassenderen Publikation aufgezeigt.
Das BVerfG erläuterte weiter, dass bei der Abwägung durch die Gerichte die betroffenen Grundrechte „interpretationsleitend“ zu berücksichtigen seien. Dabei gebe es zu beachten, dass die Meinungsfreiheit „als subjektive Freiheit des unmittelbaren Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht“ sei. Sie ist daher privatnützig und darf entsprechend auch genutzt werden, und umfasse „nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen“. Der Vorwurf, D. habe lediglich „eigennützige Ziele“ verfolgt, stellt sich auf dieser Grundlage als rechtlich unerheblich heraus.
Auch die überspitzte Meinungsäußerung sei durch die Meinungsfreiheit geschützt, wozu auch ein „Gegenschlag“ gehören kann (auf einen scharfen Angriff darf also auch eine scharfe Reaktion erfolgen), und wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben habe, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert. Da Kachelmann selbst sich vorher in seinem Interview nicht sachlich, sondern emotionalisierend geäußert habe, müsse er auch eine entsprechende Reaktion der Beschwerdeführerin hinnehmen.
Das BVerfG kritisierte die Auffassung der Gerichte, dass D. sich auf eine sachliche Darstellung hätte beschränken müssen. Die Meinungsfreiheit erlaube gerade, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten. An den Folgen und Härten eines Strafprozesses auch aus Sicht möglicher Opfer besteht ebenso ein öffentliches Interesse. Der Druck, der auf D. lastete, und sie dazu brachte, das Ergebnis des weithin von der Öffentlichkeit begleiteten Prozesses kommunikativ verarbeiten zu wollen, hätte ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Die Äußerungen der D. wögen auch weniger schwer, da sie zeitlich noch im engen Zusammenhang mit dem Verfahren erfolgten und keine neuen Vorwürfe enthielten als diejenigen, die sowieso schon öffentlich bekannt waren und Kachelmann daher nicht erheblich mehr belasten konnten.
Wie es nun weitergeht
Das BVerfG ist kein „normales“ Gericht, sondern entscheidet nur nach Verfassungsrecht. Es hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Auf diese Weise kann das OLG – natürlich unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben – alsbald neu entscheiden.
Hinweis: Bei allem sollte nicht übersehen werden, dass eine rechtskräftige, also nicht mehr angreifbare, strafgerichtliche Entscheidung die Vorwürfe endgültig klärt. Ist ein Freispruch erst rechtskräftig geworden, darf man dem Freigesprochenen die Tat nicht mehr vorwerfen (vgl. § 190 StGB). Im vorliegenden Fall war der Freispruch zur Zeit des strittigen Interviews noch nicht rechtskräftig.
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