Ein Überblick von Rechtsanwalt Christian Solmecke.
Das Europäische Medienfreiheitsgesetz ist am 7. Mai 2024 in Kraft getreten. Die EU nennt die neue Verordnung einen beispiellosen Schutzrahmen, der den Pluralismus und die Unabhängigkeit der Medien schützen soll. Anhand der aktuellen Fassung des Textes lässt sich gut ablesen, ob dieses Vorhaben gelungen ist. Rechtsanwalt Christian Solmecke aus der Kanzlei WBS.LEGAL gibt für den DFJV einen Überblick, welche Regelungen für Journalistinnen und Journalisten besonders relevant sind.
Bereits im Jahr 2021 hieß es vonseiten der EU, es brauche ein europäisches Gesetz zum Schutz der Unabhängigkeit der Medien sowie der freien Journalistinnen und Journalisten. Mitauslöser hierfür waren zahlreiche Eingriffe in die Berichterstattung, wie sie beispielsweise in Ungarn, aber auch Polen und Rumänien zuletzt vermehrt beobachtet wurden.
Am 16. September 2022 hat die EU-Kommission schließlich einen Vorschlag für ein neues europäisches Medienfreiheitsgesetz, auch European Media Freedom Act (EMFA) genannt, angenommen und der Öffentlichkeit vorgelegt. Nach einer Abstimmung am 13. März wurde die Verordnung im Europäischen Parlament angenommen und trat am 7. Mai in Kraft.
Die Ziele der Verordnung sind vielfältig: Journalistinnen und Journalisten sollen effektiv vor politischer Einflussnahme und Überwachung geschützt, die Transparenz öffentlich-rechtlicher Medien erhöht und nicht zuletzt Einschränkungen der Meinungsfreiheit auf großen Plattformen wie X oder Facebook verhindert werden. Die Verordnung richtet sich vor allem an Behörden und öffentliche Stellen, soll aber im Ergebnis die Stellung von Journalistinnen und Journalisten umfassend verbessern.
Der Schutz vor Überwachung und seine Ausnahmen
Ein zentrales Anliegen der Verordnung ist der Schutz von Medienschaffenden vor politischer Einflussnahme und Überwachung. Bereits im Kommissionsentwurf sah Art. 4 EMFA vor, dass Journalistinnen und Journalisten sowie ihre Familienangehörigen vor Inhaftierung, Sanktionierung, Abhören, Überwachung, Durchsuchung und Beschlagnahme oder Untersuchung bewahrt werden, wenn sie ihre Quellen schützen. Dieser Schutz ist an einigen Stellen erweitert worden: Neben den bereits zuvor genannten Personen sind nun auch jene geschützt, die mit Medienschaffenden in einer beruflichen Beziehung stehen – einschließlich gelegentlicher Kontakte. Neben der verbotenen „Spähsoftware“ sind nun generell „jegliche Überwachungsmaßnahmen oder Überwachungstechnologien in Geräten oder Maschinen“ von Mediendienstanbietern, Angehörigen sowie Kolleginnen und Kollegen verboten. Dies umfasst nicht nur den unmittelbaren Einsatz, sondern auch die Anweisung „privater Stellen“, diese Mittel ihrerseits einzusetzen. Damit wird einer Umgehung durch Privatunternehmen zusätzlich vorgebeugt.
Neben der Ausweitung des Schutzbereichs hat sich auch bei den umstrittenen Ausnahmen einiges getan. Diese waren zuvor sehr weit gefasst: So waren Inhaftierungen, Sanktionierung, Durchsuchung, Beschlagnahme und Untersuchung nach dem alten Art. 4 Abs. 2 dann zulässig, wenn ein „zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses“ vorlag. Der Einsatz von „Staatstrojanern“ sollte ausnahmsweise erlaubt sein, wenn er „im Einzelfall aus Gründen der nationalen Sicherheit gerechtfertigt“ war oder im Rahmen von Ermittlungen wegen schwerer Straftaten erfolgte. Letzteres allerdings nur dann, wenn andere Maßnahmen (Inhaftierung, Durchsuchung etc.) erfolglos blieben. Das führte zu berechtigtem Gegenwind und auch der DFJV forderte eine vermehrte Stärkung dieses Schutzes. Nach den zuletzt angenommenen Änderungen ist dieser Schutz tatsächlich gestärkt worden, denn die Grenzen der Befugnisse aus Art. 4 wurden nun erfreulicherweise konkretisiert und eingeschränkt. Laut dem neuen Art. 4 Abs. 2 Buchst. a) sind Maßnahmen wie Inhaftierungen und Durchsuchungen nur noch zulässig, wenn sie
- das mildeste Mittel zur Erreichung des Ermittlungszwecks sind,
- in keinem Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit eines Mediendienstanbieters und seiner Beschäftigten stehen,
- nicht den Zugang zu Quellen von Journalistinnen und Journalisten betreffen,
- in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen sind (Dies ist zentral, da ein großer Kritikpunkt an der alten Fassung darin lag, dass den Behörden der Mitgliedstaaten die Souveränität genommen wird.),
- im Einzelfall zur Verhütung schwerer Straftaten erforderlich sind,
- mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar sind oder
- von einer unparteiischen Justizbehörde angeordnet werden. Dabei müssen den Betroffenen die einschlägigen Rechtsbehelfe aus Art. 47 Grundrechtecharta zur Verfügung stehen.
Dies gilt auch für den Einsatz von Spähsoftware. Die verfolgten Straftaten müssen jedoch mit einer Haftstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht sein und die Maßnahme muss als „letztes Mittel“ eingesetzt werden. Letzteres unterliegt wiederum einer eigenen „Überprüfung“ durch eine Justizbehörde.
Öffentliche Beschwerdestelle
Zudem wird auf Ebene der Mitgliedstaaten eine öffentliche Beschwerdestelle eingerichtet, die für die Aufnahme von Verstößen gegen Art. 4 EMFA zuständig ist. An diese haben ermittelnde Behörden auch zu melden, ob und inwieweit sie die Maßnahmen des Artikels anwenden.
Wie effektiv diese Regelung in der Praxis ist, bleibt abzuwarten. Medienschaffende sollten sich jedoch mit den genannten Grenzen vertraut machen, um ihre Rechte zu kennen. Die Beschwerdestelle wird im Verdachtsfall höchstwahrscheinlich die erste Anlaufstelle für Betroffene sein.
Weitere relevante Regelungen des EMFA für Medienschaffende
Daneben gibt es noch weitere Regeln, die die Stellung von Journalistinnen und Journalisten verbessern:
- Für Medienschaffende, die vornehmlich über X oder andere soziale Netzwerke kommunizieren, veröffentlichen und diskutieren, dürften die Regeln für „sehr große Online-Plattformen“ höchst relevant sein (Art. 17 EMFA): Löscht eine Plattform einen Beitrag unter Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, muss sie dies dem Medienschaffenden begründen und dabei auch die spezifische Klausel der AGB benennen, gegen die verstoßen wurde. Der Betroffene hat dann 24 Stunden Zeit, auf die Begründung zu antworten. Schafft die Plattform daraufhin keine Abhilfe, muss sie die Sache an die zuständige Behörde weiterleiten, die mithilfe einer Grundrechtsabwägung entscheidet, ob an der Stelle die Pressefreiheit oder die Interessen der Plattform überwiegen.
- Für Medienschaffende nützlich dürfte auch das Recht auf individuelle Anpassung auf Geräten mit digitalen Elementen (z. B. Smart TVs) sein: Laut EMFA muss es Nutzerinnen und Nutzern erlaubt sein, die Standardeinstellungen so zu ändern, dass die gezeigten Inhalte auf sie selbst und ihre Interessen zugeschnitten werden. Das könnte im Ergebnis dafür sorgen, dass die Inhalte von Medienschaffenden eher ihre Zielgruppen erreichen und Wirkung entfalten können.
- Außerdem soll eine gewisse „Hochwertigkeit“ der Mediendienste sichergestellt werden. Öffentlich-rechtliche Medien sollen etwa mithilfe öffentlicher Finanzierungsprogramme und -initiativen in ihrer Unabhängigkeit gestärkt werden. Zum anderen soll mehr Transparenz über Medieneigentum herrschen. Denn nur wenn Firmennamen, Kontaktdaten und Eigentumsverhältnisse der Nachrichtenmedien durchsichtig sind, ist es Medienschaffenden möglich, potenzielle Interessenkonflikte frühzeitig zu erkennen. Gleiches gilt auch für die Ernennung der Leitenden und Vorstände der Anstalten. Dies sei eine Hauptvoraussetzung für die Bildung einer fundierten Meinung und der aktiven Teilhabe an einer Demokratie, so auch in der finalen Fassung (Erwgr. 9).
- Zudem trifft der EMFA Regelungen zum Umgang mit der staatlichen Vergabe von Werbungs- und Beschaffungsaufträgen. Damit nimmt er in den Erwägungsgründen der neuen Fassung ausdrücklich eine „asymmetrische“ Vergabepraxis in den Blick, bei der regierungsnahe Medienunternehmen bevorzugt werden und damit den Wettbewerb verzerren.
- Durch die Einführung eines neuen unabhängigen europäischen Gremiums für Mediendienste, einem „Board for Media Services“, soll schließlich auch das Thema Medienkonzentration angegangen werden. Unter Zusammenarbeit mit der Kommission kann dieses zum Beispiel Leitlinien zu den Faktoren entwickeln, die bei der Bewertung der Auswirkungen von Medienmarktkonzentrationen auf den Medienpluralismus durch die nationalen Regulierungsbehörden zu berücksichtigen sind. Auch das soll einen fairen Wettbewerb herstellen. Das Gremium – eine Weiterentwicklung der seit 2014 bestehenden „European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA)“ – soll aus Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Medienregulierungsbehörden zusammengesetzt und für die Beratung der EU-Kommission zuständig sein.
Fazit
Insgesamt befürwortet der DFJV eine ausgewogene und effektive Medienregulierung, die sowohl die Unabhängigkeit und Staatsferne der Medienaufsicht sichert als auch die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden auf europäischer Ebene unterstützen soll.
Das Medienfreiheitsgesetz wird zurecht als Meilenstein zum Schutz von Journalistinnen und Journalisten im europäischen Raum betrachtet. Mit der jetzigen finalen Fassung dürften einige Bedenken ausgeräumt sein, die im Gesetzgebungsprozess aufgekommen waren. Dennoch ist eine Verordnung, die die Nutzung von Spähsoftware und anderen starken Eingriffen in die Pressefreiheit zulässt, aus grundrechtlicher Perspektive immer mit Vorsicht zu genießen. Sie ist zwar nicht per se grundrechtswidrig. Aber sie schafft mehr oder weniger ein gewisses Risiko dafür, dass nationale Behörden grundrechtswidriges Verhalten zeigen und nicht schnell genug korrigiert werden.
Insgesamt bahnt sich ein vorsichtiger Optimismus an. Gerade auch die Regelungen für sehr große öffentliche Plattformen dürften den allgegenwärtigen „Kampf um Relevanz“ auf Plattformen wie X entschärfen, der bisher stark von den jeweiligen AGB überschattet war.
Den gesamten Text zum Medienfreiheitsgesetz inklusive eines Rückblicks auf die Kritikpunkte Deutschlands und der Länder im Zuge der Gesetzgebung lesen Sie in unserer Rubrik Medienpolitik im Bereich „Medien und Pressefreiheit.“