von RA Frank C. Biethahn (Vertragsanwalt des DFJV)
Kritischer Fachjournalismus erfordert Kenntnisse der Hintergründe. Um diese aufdecken zu können, brauchen Journalisten Zugang zu Quellen. Aus diesem Grund gibt es diverse Auskunfts-, Einsichts- und Informationsrechte. In einem aktuellen Urteil hat der VGH Baden-Württemberg, also das höchste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs, die Pressefreiheit eingeschränkt – wohl verfassungswidrig.
Der konkrete Fall
Beim Landesarchiv Baden-Württemberg lagern Akten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus den Jahren 1986 und 1995 gegen einen Mediziner, der Sportler mit Dopingmittel versorgt haben soll. Eine Rundfunkanstalt und eine Zeitung berichteten über den Inhalt dieser Akten, unter Berufung darauf, diese eingesehen zu haben. Ein Journalist einer Tageszeitung begehrte daraufhin ebenfalls Einsicht. Diese bekam er allerdings nicht: Erst berief sich das Landesarchiv darauf, dass die Akten noch der Sperrfrist unterlägen und Verkürzung der Sperrfrist beantragt werden könne. Als der Journalist diesen Antrag jedoch stellte, lehnte das Landesarchiv auch das ab.
Die Position der Verwaltungsgerichte
Das Verwaltungsgericht in erster Instanz, und jetzt der Verwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz, wiesen das Begehren ebenfalls ab – weder lägen die Voraussetzungen für eine Sperrfristverkürzung vor noch könne der Journalist Gleichbehandlung verlangen.
Einen Rechtsbehelf gibt es gegen die Entscheidung des VGH nach dessen Auffassung nicht. Denkbar wäre aber zumindest die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Obwohl gute Gründe für eine Verfassungswidrigkeit sprechen – dazu sogleich –, sind die Aussichten in solchen Verfahren vor dem BVerfG allgemein schlecht.
Was besagt das einschlägige Gesetz?
Nach dem baden-württembergischen „Gesetz über die Pflege und Nutzung von Archivgut (Landesarchivgesetz – LArchG)“ hat jeder, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, nach Ablauf der Sperrfristen im Rahmen der rechtlichen Vorgaben das Recht, das Archivgut zu „nutzen“, also auch Einsicht zu erhalten (§ 6 Abs. 1 LArchG). Das Gesetz enthält komplexe Vorgaben, wie lange die Sperrfrist jeweils läuft. Das Landesarchiv kann sie unter bestimmten Umständen auch verlängern bzw. verkürzen (§ 6 Abs. 4 LArchG). Verkürzen ist möglich, wenn „schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht entgegenstehen“, bei personenbezogenen Daten nur, wenn der Betroffene bzw. seine Nachfahren eingewilligt haben oder „wenn die Nutzung zu wissenschaftlichen Zwecken oder zur Wahrnehmung berechtigter Belange, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person oder Stelle liegen, unerlässlich ist“. Je nach Umständen kann eine Anonymisierung erforderlich sein.
Die Rechtslage
Der VGH stützte seine Entscheidung darauf, dass die Einsicht in die Akten für den Journalisten nicht „unerlässlich“ sei. Daran seien hohe Anforderungen zu stellen. Zutreffend stellt der VGH dabei fest, dass der Gesetzgeber den Belangen des Betroffenen ein hohes Gewicht beimisst und deswegen die „Unerlässlichkeit“ verlangt. Allerdings bleibt die Pressefreiheit angemessen zu berücksichtigen, in diesem Punkt hat der VGH „zu formal“ entschieden und die besondere Bedeutung der Presse verkannt.
Das Gesetz verlangt zunächst, dass „schutzwürdige Belange des Betroffenen nicht entgegenstehen“ – das ist schon der Fall, wenn das öffentliche Interesse überwiegt, was im Rahmen der Recherche eines Journalisten durchaus der Fall sein kann. Für personenbezogene Daten verlangt das Gesetz dann die „Unerlässlichkeit“ zur Wahrnehmung berechtigter Belange, die im überwiegenden Interesse einer anderen Person liegen.
Was heißt das für Medien? Die Medien nehmen bei ihrer Tätigkeit – von Missbräuchen abgesehen – berechtigte Interessen wahr, indem sie ihrer öffentlichen Aufgabe dienen. Das bestätigen auch die Landespressegesetze – z. B. § 3 des baden-württembergischen Landespressegesetzes.
Ob Archiveinsicht für diese Aufgabe „unerlässlich“ ist oder nicht, muss im Lichte der verfassungsrechtlich garantierten Pressefreiheit gesehen werden. Recherche gehört zur ordentlichen journalistischen Arbeit, die Presse unterliegt nach den Landespressegesetzen (z. B. § 6 des baden-württembergischen Landespressegesetzes) sogar besonderen Sorgfaltsanforderungen bei der Überprüfung von Fakten („Nachrichten“). Sie ist per se „unerlässlich“ für ordentliche journalistische Arbeit.
Zu Recht stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Rechtsprechung fest, dass bei der Pressefreiheit kein überzogener Maßstab angelegt werden dürfe, dass die Aufgabe der Presse in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat hinreichend zu berücksichtigen sei (BVerfG-Beschluss vom 08.09.2014 – Az. 1 BvR 23/14, Rn. 28) und dass erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen die Presse in den Stand versetze, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wirksam wahrzunehmen (BVerfG-Beschluss vom 08.09.2014 – Az. 1 BvR 23/14, Rn. 26). Das verfassungsrechtlich gewährte Selbstbestimmungsrecht der Presse umfasse auch die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffungen (BVerfG-Beschluss vom 08.09.2014 – Az. 1 BvR 23/14, Rn. 29). Das betont auch der BGH.
Verfassungswidrige Entscheidung des VGH
Die gebotene großzügigere Auslegung lehnt der VGH ab – er setzt damit außerordentlich hohe Hürden, für die kein Grund ersichtlich ist und die mit der verfassungsmäßig abgesicherten Pressefreiheit unvereinbar sein dürften. Nach seiner Auffassung wäre es notwendig, dass der Journalist gerade auf die genannten Akten angewiesen ist und ohne Einsicht „ein gravierender und unzumutbarer Schaden für die Pressefreiheit in einer besonders gewichtigen Angelegenheit entstünde“ – was dieser vor der Einsicht aber kaum wissen kann. Folgte man dieser Auffassung, wäre die Pressefreiheit in diesem Bereich praktisch vollständig ausgehebelt. Das wäre mit der Verfassung unvereinbar.
Besonders bedenklich ist, dass der VGH selbst feststellt, dass die Angelegenheit von erheblicher Bedeutung sei, es sich um „Fragen von hohem allgemeinen öffentlichen Interesse“ handele, die eine Person der Zeitgeschichte betreffen.
Wie findige Journalisten strengen Vorgaben ausweichen
Journalisten haben immer schon versucht, Informationen auch dann zu erlangen, wenn staatliche Stellen ihnen den Zugang dazu zu verwehren suchten. So war es auch hier. Das Landesarchivgesetz sieht ja auch noch die Ausnahme der „Nutzung zu wissenschaftlichen Zwecken“ vor, und diese wurde vom Landesarchiv – wie auch oft bei anderen Institutionen zu beobachten – großzügiger gehandhabt. Ob andere Journalisten nun Anträge nur zum Schein als der Forschung dienend ausgegeben haben, oder aber mit Wissenschaftlern zusammengearbeitet haben – in jedem Fall haben Journalisten Zugang zu den Akten über diese Ausnahme erlangt. Auch in Zukunft dürfte zu erwarten sein, dass Journalisten Kreativität entwickeln, um ihre berechtigten Belange durchzusetzen – z. B. durch eine Kooperation mit wissenschaftlichem Personal einer Universität oder einer anderen wissenschaftlichen Einrichtung.
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