Was steht im Gesetzesentwurf?
Die EU ist im Bereich der digitalen Gesetzgebung in letzter Zeit sehr aktiv: Neben dem Digital Services Act und dem Digital Markets Act hat sie jetzt den Entwurf eines neuen Medienfreiheitsgesetzes (European Media Freedom Act) veröffentlicht. Was steht im Entwurf? Welche Auswirkungen wird er auf die europäische Medienlandschaft haben? Und was ist von dem Entwurf zu halten?
Für den DFJV von Rechtsanwalt Christian Solmecke aus der Kanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE.
Bei dem geplanten neuen European Media Freedom Act handelt es sich um eine Verordnung, die – wenn sie in Kraft tritt – in ganz Europa direkt gelten wird. Das Ziel der EU-Kommission ist klar: Die Pressefreiheit soll europaweit gestärkt werden. In manchen unserer Nachbarländer wie Ungarn oder Polen ist es ja bekanntlich gerade nicht gut um sie bestellt. Geplant sind eine Menge neuer Regelungen. Konkrete Verbote staatlicher Eingriffe gegen Medienhäuser, Transparenzpflichten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Schutz vor willkürlichen Entscheidungen von Plattformen wie YouTube & Co. Die Palette an Maßnahmen ist groß und ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Rechte für Nutzer und Anbieter von Mediendiensten
Die Verordnung der EU dreht sich hauptsächlich um Mediendienste und entsprechende Anbieter von Mediendiensten. Daher ist es erst einmal wichtig zu wissen, was eigentlich ein „Mediendienst“ im Sinne der Verordnung ist: Gemeint sind alle Dienste, die eine Presseveröffentlichung oder ein Programm bereitstellen und das Ziel haben, Information, Bildung oder Unterhaltung für die Allgemeinheit zu bieten. Mit „Programmen“ sind insbesondere Fernsehprogramme, Podcasts oder eine regelmäßige Serie zum Streamen gemeint. Dabei gibt es immer einen redaktionell verantwortlichen „Mediendiensteanbieter“. Dieser kann eine natürliche Person sein, aber auch ein Unternehmen, das beruflich Mediendienste bereitstellt und die redaktionelle Verantwortung dafür innehat. Das können zum einen private Anbieter aber auch öffentliche Sender sein, insbesondere staatliche Rundfunkanstalten wie ARD und ZDF.
Die Verordnung legt zunächst die Rechte der Nutzer und Anbieter von Mediendiensten fest. Nutzer in der EU sollen erstmalig ein festgelegtes Recht auf Empfang vielfältiger Nachrichten und aktueller Inhalte erhalten, die unter Wahrung der redaktionellen Freiheit produziert werden.
Die Anbieter auf der anderen Seite erhalten eine Zusicherung, dass ihre wirtschaftliche Tätigkeit im EU-Binnenmarkt nicht bzw. nur durch EU-Recht beschränkt wird. Dazu gehört insbesondere die Sicherstellung der redaktionellen Freiheit vor Eingriffen der nationalen Aufsichtsbehörden. Die EU-Staaten dürfen redaktionelle Richtlinien und Entscheidungen nicht beeinflussen. Auch der Quellenschutz darf nicht durch Festnahmen, Überwachung, Durchsuchungen oder andere Sanktionen untergraben werden. Dieser Schutz wird auf die Mitarbeiter der Unternehmen und Familienmitglieder erweitert. Investigativer Journalismus wird so gestärkt und die beteiligten Journalisten können darauf vertrauen, dass der Staat sie nicht unter Druck setzen wird, um Informationen über Quellen zu erlangen.
Auch der Einsatz von Spionagesoftware ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn die Anwendung im Einzelfall für die nationale Sicherheit relevant ist, die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt und eine eigene gesetzliche Grundlage dafür existiert. Bei Verletzung der letzten beiden Punkte muss eine Möglichkeit zur Beschwerde bei einer unabhängigen Beschwerdestelle geschaffen werden. Sollte es also zu einer Verletzung der Schutzgarantien kommen, besteht die Möglichkeit, sich zu wehren und die Vorgänge unabhängig untersuchen zu lassen.
Pflichten der Mediendienste
Mediendiensteanbieter sollen allerdings nicht nur Rechte erhalten, sondern auch Pflichten – konkret gewisse Offenlegungspflichten.
Zunächst sollen alle Nutzer von Mediendiensten, die Nachrichten und aktuelle Inhalte bereitstellen, einen einfachen und direkten Zugang zu Namen und Kontaktdetails des Anbieters haben. In der Praxis dürfte diese Verpflichtung durch die bereits bestehende Impressumspflicht jedoch keine Änderungen bedeuten.
Für die Offenlegung von Beteiligungen gilt dies jedoch nicht. So müssen die Namen von direkten und indirekten Eigentümern veröffentlicht werden. Auf diesem Weg soll verhindert werden, dass Medienkonzerne die Eigentümerstrukturen verschleiern, sodass vielen nicht klar ist, wer hinter einem Programm steht und auf dieses Einfluss gehabt haben könnte. Ein solcher Eigentümer ist jede Person, die Anteile besitzt und so Auswirkung auf den Betrieb oder strategische Entscheidungen nehmen könnte. Indirekte Eigentümer sind Personen, die nach diesen Kriterien Eigentümer eines Unternehmens sind, das entsprechende Anteile am Mediendienst hält. Zusätzlich müssen die wirtschaftlichen Eigentümer offengelegt werden. Das sind Personen, die mehr als 25% der Anteile halten. Auch diese Regelung gilt für indirekte Eigentümer, wenn sie Eigentümer eines oder mehrerer Unternehmen sind und diese gemeinsam über 25% der Anteile halten. Die Veröffentlichungsgrenzen könnten sicherlich noch geringer sein, jedoch ist auch das ein Schritt in die richtige Richtung.
Darüber hinaus müssen Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass Redakteure frei in ihren redaktionellen Entscheidungen sind. Auch Interessenskonflikte sollen durch strukturierte Maßnahmen erkannt und aufgedeckt werden. Negativkampagnen gegen Unternehmen, die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit dem Verleger stehen – wie letztens zwischen BILD und Adidas – werden so zumindest erschwert.
Diese zusätzlichen Maßnahmen für Anbieter von Nachrichten und aktuellen Inhalten gelten nicht, wenn es sich um eine Kleinstkapitalgesellschaft gemäß § 267a Abs. 1 des Handelsgesetzbuches handelt – die also einen geringen Umsatz bzw. weniger als zehn Mitarbeitende haben. Jedenfalls in den großen und etablierten Medienhäusern sollen die Journalisten also darauf vertrauen können, dass sie ihrer Arbeit frei nachgehen können.
Mediendienste und die großen Plattformen wie Instagram und YouTube
Um die Stellung von Mediendiensteanbietern zu stärken, werden den sogenannten „sehr großen Online-Plattformen“ im Umgang mit den Anbietern weitere Pflichten auferlegt. Der Begriff der sehr großen Online-Plattformen stammt aus dem Digital Services Act und beschreibt Plattformen, die Inhalte von Nutzern – in diesem Fall die Anbieter von Mediendiensten – für diese veröffentlichen. Sie werden von der EU-Kommission gesondert benannt und müssen monatlich mindestens 45 Millionen aktive Nutzer aus der EU haben. Gemeint sind höchstwahrscheinlich insbesondere soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter, außerdem Videoplattformen wie TikTok und YouTube.
Diese Plattformen müssen für Mediendiensteanbieter eine Funktion bereitstellen, mit der sie sich selbst als solche kennzeichnen und versichern können, dass sie redaktionell unabhängig sind und einer staatlichen Aufsichtsbehörde unterstehen. Anstelle einer staatlichen Aufsicht sind auch eigene Regulierungsmaßnahmen möglich, wenn diese auf demselben Standard wie die staatlichen Maßnahmen sind. Die Selbstregulierungsmaßnahmen müssen darüber hinaus im eigenen Mediensektor weitestgehend anerkannt und akzeptiert sein. Es bleibt hier abzuwarten, welche Lösungen gewählt werden.
Wenn diese Versicherung gegenüber der Plattform abgegeben wurde, sollen die Anbieter von Mediendiensten umfangreiche Privilegien bekommen, um deren Unabhängigkeit und freie Arbeit zu sichern. Wenn Medienanbieter aktuell auf Plattformen wie Youtube, Twitch oder andere Distributoren angewiesen sind, sind sie ihnen gleichzeitig auch ausgeliefert. Undurchsichtige Sanktionen, Sperrungen und kaum menschliche Interaktion bei vermeintlichen Regelverstößen prägen das Bild der Plattformen. In der Folge werden Inhalte häufig gesperrt und der Widerspruch ist ein mühseliger Prozess.
Zukünftig soll folgendes gelten: Wird ein Inhalt eines Mediendiensteanbieters gesperrt, gelöscht oder anderweitig beschränkt, muss zunächst geprüft werden, ob es sich dabei um ein sogenanntes Systemrisiko handelt, der vorgeworfene Verstoß also gravierend ist. Darunter fällt die Verbreitung illegaler und solcher Inhalte, die eine nachteilige Auswirkung auf Grundrechte, Wahlprozesse oder die psychische Gesundheit haben. Auch geschlechtsspezifische Gewaltinhalte werden als Systemrisiko eingestuft. Handelt es sich um kein Systemrisiko, muss die Sperrung oder Löschung vor Inkrafttreten gegenüber dem Anbieter begründet werden.
Wendet sich ein Mediendiensteanbieter im internen Beschwerdemanagementsystem gegen die Sperrung, muss die Beschwerde priorisiert und ohne Verzögerungen bearbeitet werden. Das soll Sperrungen bestmöglich bereits verhindern, sodass die Inhalte im Sinne einer freien Medienlandschaft möglichst abrufbar bleiben. In Zukunft kann man also damit rechnen, dass mögliche Verletzungen von „Community-Guidelines“ deutlich besser begründet werden und Sperrungen bzw. Löschungen tatsächlich das letzte Mittel der Wahl sind.
Für den Fall, dass aus Sicht des Anbieters von Mediendiensten die eigenen Inhalte regelmäßig fehlerhaft gelöscht oder gesperrt werden, müssen Anbieter und Plattform in einen Schlichtungsdialog treten. Auch hier werden wieder die großen Plattformen wie YouTube anvisiert. Wenn die undurchsichtige Löschpraxis trotz der oben genannten Vorkehrungen so weiter geht, steht den Journalisten eine höhere Instanz zur Verfügung, bei der sie den Verstoß – in Form nicht erfolgreicher Schlichtungsgespräche – rügen können.
Sehr große Anbieter müssen darüber hinaus jährlich über die Gründe und Häufigkeiten von Beschränkungen oder Sperrungen in Bezug auf Mediendiensteanbieter öffentlich berichten. Unter anderem auf Grundlage dieser Zahlen findet dann regelmäßig ein vom Ausschuss organisierter „strukturierter Dialog“ zwischen den sehr großen Online-Plattformen, Vertretern der Mediendiensteanbieter und Vertreter der Zivilgesellschaft statt. Dort sollen Erfahrungen ausgetauscht und „best-practice“-Lösungen für die Anwendung der neuen Vorgaben entwickelt werden. Auch das soll Druck auf die großen Plattformen ausüben. Es scheint daher möglich, dass jedenfalls für die geschützten Diensteanbieter die undurchsichtigen Löschungen und Sperrungen auf Social-Media Plattformen bald ein Ende haben.
Staatliche Leitlinien für Verfahren und Maßnahmen
Den Mediendiensteanbietern wird außerdem ein Beschwerderecht gegen staatliche Entscheidungen eingeräumt. Dazu müssen unabhängige Stellen eingerichtet werden, die über Expertise im Medienmarkt verfügen. Das ist jedoch leider im Zweifel Aufgabe der Staaten – darunter auch solcher, die die Pressefreiheit gerade verletzten. Wenn sie sich daran nicht halten, besteht keine direkte Sanktionsmöglichkeit. Es muss dann der langwierige Weg eines Vertragsverletzungsverfahrens beschritten werden. Hier bleibt der Vorschlag angesichts den hohen Strafzahlungen aus anderen EU-Verordnungen hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Wenn insbesondere staatliche (Aufsichts-)Maßnahmen gegen einzelne Mediendiensteanbieter verhängt werden und diese wahrscheinlich die Funktion des europäischen Binnenmarkts für Mediendienste beeinträchtigen, muss die entsprechende Stelle dies nach Aufforderung gegenüber dem Ausschuss oder der EU-Kommission begründen. Dazu müssen alle relevanten Informationen, eingeholte Stellungnahmen anderer Behörden und weitere Gegenstände der Entscheidung offengelegt und dem Ausschuss bzw. der Kommission zur Verfügung gestellt werden, um eine Überprüfung der Entscheidung zu ermöglichen. Wenn wie in Ungarn oder Polen staatliche Stellen immer mehr Kontrolle über die Medien ergreifen, hat die EU-Kommission in Zukunft zumindest die Möglichkeit, die verhängten Maßnahmen zu überprüfen. Eine direkte Sanktionsmöglichkeit wäre allerdings auch in diesem Fall wünschenswert.
Wenn sich zwei Medienunternehmen zusammenschließen, muss dies in Zukunft gegenüber einer nationalen Stelle angezeigt werden. Damit soll verhindert werden, dass sich wenige große Medienkonzerne bilden, die die Medienlandschaft dominieren. Erneut fehlt allerdings eine direkte Sanktionsmöglichkeit der EU, sodass ein (zwangsweiser) Zusammenschluss von Unternehmen in autoritären Staaten nur sehr aufwendig sanktioniert werden kann.
Transparente und gerechte Verteilung wirtschaftlicher Ressourcen
Die Messung von Einschaltquoten obliegt häufig privaten Unternehmen. Diese werden – unter Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse – dazu verpflichtet, genaue, detaillierte, umfassende, verständliche und aktuelle Informationen über die Methodik ihrer Systeme zur Messung der Zuschauerzahlen weiterzugeben. Anspruch auf die Informationen haben Mediendiensteanbieter, Werbetreibende und von diesen beauftragte Dritte. Für die Erteilung dieser Informationen dürfen die Unternehmen kein Geld verlangen. Medienanbieter können also überprüfen, dass sie richtige Zahlen in Bezug auf ihre Einschaltquoten erhalten. Mehr Transparenz wird für Journalisten und Medienunternehmen also auf jeden Fall erreicht, auch wenn noch unklar ist, wie weit sich die Dienstleister auf das Geschäftsgeheimnis berufen können.
Die Systeme müssen darüber hinaus transparent, unparteiisch und überprüfbar gestaltet sein, damit Mediendiensteanbieter und Werbetreibende die Verwendung ihrer Werbemittel auf Grundlage zuverlässiger Einschaltquoten steuern können.
Im Rahmen der staatlichen Werbung müssen Gelder nach transparenten, objektiven, verhältnismäßigen und nicht-diskriminierenden Kriterien vergeben werden. Auch die Vergabeverfahren müssen offen, verhältnismäßig und nicht-diskriminierend sein. In der Praxis wird sich an diesem Punkt aber zumindest hierzulande wenig verändern, da die deutschen Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge weiterhin gelten.
Staatliche Stellen müssen darüber hinaus einmal jährlich veröffentlichen, wie viel Geld für Werbung an welche Unternehmen bezahlt wurde. Auch in diesem Punkt soll das Medienfreiheitsgesetz daher für mehr Transparenz sorgen. Die Freiheit der einzelnen Anbieter wird ebenfalls verbessert, da Auftragsvergaben nachvollziehbarer werden und der freie Wettbewerb so gestärkt wird.
Europäischer Ausschuss der Mediendienste
Der Europäische Ausschuss der Mediendienste („der Ausschuss“) wird die bisher existierende Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) ersetzen. Er arbeitet komplett unabhängig und darf Weisungen weder aktiv einholen noch entgegennehmen. Er setzt sich aus gleichberechtigten Vertretern der nationalen Aufsichtsbehörden zusammen und soll die effektive und einheitliche Durchsetzung des Medienfreiheitsgesetzes sichern.
Der Ausschuss gibt verschiedene Stellungnahmen ab und ist beispielsweise in Schlichtungsprozesse eingebunden. Wenn Aufsichtsbehörden untereinander die Kooperation verweigern, kann er angerufen werden und eine Stellungnahme mit dem Vorschlag weiterer Verfahrensschritte abgeben.
Die Zusammenarbeit der nationalen Aufsichtsbehörden wird außerdem explizit auf Video-Plattformen erweitert, damit Mitgliedsstaaten die bereits existierenden Pflichten von Video-Plattformen tatsächlich durchsetzen können. Dies gilt insbesondere für Hass- und Gewaltvideos, sowie Videos, die für die psychische Entwicklung von Kindern schädigend sein können.
Wie geht es weiter?
Bisher existiert ein Vorschlag für das europäische Medienfreiheitsgesetz. Dieser Vorschlag muss jetzt den Gesetzgebungsprozess der EU durchlaufen, bis er sechs Monate nach der Verkündung final in Kraft treten kann.
Als Verordnung entfaltet das Gesetz unmittelbare Wirkung in allen Mitgliedsstaaten und muss nicht mehr in nationale Gesetze umgesetzt werden. Der Vorschlag in der bisherigen Fassung bedeutet insbesondere für Medienunternehmen eine Stärkung ihrer Rechte. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Text im Gesetzgebungsverfahren verändert, der Vorschlag ist in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung.