Ein Report von Netzwerk Recherche wirft einen vertieften Blick auf die Herausforderungen des Fachressorts.
Für Computer- und Videospiele hat sich in Deutschland ein wichtiger und äußerst umsatzstarker Markt entwickelt. Zudem werden die Spiele über ihren Unterhaltungswert hinaus in wissenschaftlichen oder fachlichen Publikationen als digitales Medium mit kultureller Relevanz behandelt. Dennoch steht im Fokus der journalistischen Berichterstattung oft „nicht die gesellschaftliche, künstlerische oder wirtschaftliche Bedeutung der Computerspiele“, wie der Autor Maximilian Fischer in dem von Netzwerk Recherche herausgegebenen Greenhouse Fellowship Report Nr. 2 aufzeigt, sondern das Medium werde darin oft als Produkt behandelt. Die Berichterstattung ist dabei eng an die Videospielindustrie gekoppelt, da Unternehmen und Marketing-Agenturen der Branche Journalistinnen und Journalisten oft mit Testmustern und Informationen zu neu erschienenen Spielen ausstatten.
Vor diesem Hintergrund geht der Report der Frage nach: Wie unabhängig kann der Videospieljournalismus in Deutschland eigentlich berichten? Um dies zu beantworten, führte Fischer elf Interviews mit freien sowie festangestellten Videospieljournalistinnen und -journalisten aus Deutschland; darunter auch Macherinnen und Macher von publikumsfinanzierten Angeboten. Er untersuchte zudem stichprobenartig Artikel von werbe- und publikumsfinanzierten Fachmagazinen, um einen Überblick über die Videospiel-Berichterstattung zu erhalten.
„Gewisse Abhängigkeit“ von der Spieleindustrie
Seine Ergebnisse zeigen, dass nahezu alle Befragten eine „gewisse Abhängigkeit“ von der Industrie erkennen. Dabei werden weniger die zur Verfügung gestellten Testmuster im Sinne eines „geldwerten Vorteils“ als problematisch erachtet, sondern vielmehr werden die bezahlten Pressereisen als Ursache für „starke Interessenskonflikte“ gesehen. Bemängelt wird oft auch eine fehlende kritische Distanz zur Branche, denn viele Videospieljournalistinnen und -journalisten würden selbst als „Fans“ schreiben, worunter die journalistische Sorgfaltspflicht leide. Auch fehlten Transparenzhinweise – etwa bei Artikeln, die im Zuge einer Teilnahme an einer Pressereise entstanden sind. Als problematisch erachten viele zudem eine mangelnde Trennung zwischen Werbung und Redaktion.
Lösungswege: Selbstverpflichtungen und unabhängige Indie-Medien
Und wie geht die Fachpresse selbst mit den genannten Problemen um? Um diesen entgegenzuwirken, haben sich verschiedene Medien, z. B. die Zeitschrift GameStar, Kodizes und Selbstverpflichtungen auferlegt – etwa zur unabhängigen Berichterstattung oder zum transparenten Umgang mit möglichen Einflussnahmen von Herstellern.
Die Befragten begrüßen zudem alternative, publikumsfinanzierte Medien wie The Pod, OK COOL oder Insert Moin als sinnvolle Ergänzung zu den Print-Magazinen, sehen diese jedoch nicht als Ersatz. Die Gründer der Alternativangebote kommen zum Teil aus leitenden Positionen für große, reichweitenstarke Magazine – diese grenzen sich laut Fischer nun durch eine unabhängige, communitybasierte Berichterstattung bewusst von der herkömmlichen Fachpresse ab.
Prekäre Arbeitsbedingungen, fehlende Ausbildungsmöglichkeiten
Als weiteres Problem benennt der Report zudem die Arbeitsbedingungen für Videospieljournalistinnen- und journalisten. Es fehle an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Medienschaffende in diesem Fachressort. Die meisten der Befragten berichten auch von prekären Beschäftigungsbedingungen. So entspräche die Bezahlung für feste wie freie Videojournalistinnen und -journalisten für längere Reportagen, Reviews oder Previews oft bei Weitem nicht dem tatsächlichen Arbeitsaufwand.
DFJV-Fachbeirat: „Integrität in der Berichterstattung unerlässlich“
„Die Untersuchung veranlasst durchaus zur Sorge: Der Digitalspieljournalismus spielt eine entscheidende Rolle in der heutigen Medienlandschaft, insbesondere angesichts der wachsenden Bedeutung und Verbreitung digitaler Spiele als kulturelles Phänomen. Integrität in der Berichterstattung ist dabei unerlässlich“, kommentiert Prof. Dr. Dr. Rudolf Inderst, DFJV-Fachbeirat für das Ressort „Digitale Spiele“, die Ergebnisse des Reports. Er empfiehlt: „Digitale Spielejournalist:innen müssen ethische Standards einhalten und transparent über ihre Arbeit berichten, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei den Leser:innen und der Spiele-Community zu gewährleisten. Außerdem plädiert er für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen: „Digitalspieljournalist:innen brauchen stabile und nachhaltige Beschäftigungsbedingungen, um effektiv arbeiten zu können. Ein sicherer Arbeitsplatz schafft die notwendige Stabilität, um qualitativ hochwertige Inhalte zu produzieren und langfristig zur Weiterentwicklung der Spielekultur beizutragen.“
Der Report unter dem Titel „Independence Play. Wie der Videospieljournalismus um seine Unabhängigkeit kämpft“ kann als PDF-Version, in einer Zusammenfassung auf der Website und als Podcast rezipiert werden. Die Recherche wurde mit dem Greenhouse Fellowship, einem Angebot des Grow Greenhouse von Netzwerk Recherche, unterstützt. Ermöglicht wurde das Fellowship von der Schöpflin Stiftung.
Bearbeitet am 9.5.2024.