Spurwechsel: Neue Quereinstiege in den Journalismus

Freie Mitarbeit, Praktikum, Volontariat, Journalistenstudium oder Journalistenschule – die Wege in den Journalismus sind in Deutschland formatiert. Gleichzeitig ist die Branche exklusiv: Menschen ohne akademischen Hintergrund oder mit untypischen Ausbildungs- und Berufswegen finden nur schwer einen Zugang. Programme wie „Voices of Brandenburg“ versuchen das zu ändern. Wir haben mit Programmbeteiligten gesprochen.
Berlin, Mitte Juni. Im Publix, dem „Haus für Journalismus und Öffentlichkeit“ an der Neuköllner Hermannstraße, tagt die Konferenz „SocialSummit“. Auf der Bühne sitzen drei Journalist:innen, die über die Macht der Worte diskutieren. Dabei geht es auch um die biografischen Hintergründe deutscher Medienmacher:innen. Eine Blitzumfrage der Moderatorin ergibt: Alle drei Podiumsteilnehmer:innen kommen aus Arbeiterfamilien.
Wer arbeitet und leitet in deutschen Redaktionen?
Dieser Moment wirft ein eher untypisches Schlaglicht auf die deutsche Medienlandschaft, denn in der Regel dominiert in deutschen Medienhäusern, vor allem auf der Leitungsebene, eine wenig diverse, in Akademikerfamilien sozialisierte und an der Uni ausgebildete Personengruppe. Die Journalistin und Autorin Julia Friedrichs (ARD, ZDF, Zeit) hat dies für die Otto Brenner Stiftung eindrücklich beschrieben.
Friedrichs schildert auch, dass die für einen Jobeinstieg obligatorischen Praktika – möglichst in verschiedenen Häusern, zumeist un- oder schlecht bezahlt, mit einem teuren Aufenthalt in anderen Städten verbunden – eine Hürde für Menschen aus sozial schwächeren Familien darstellen. Zu Journalist:innen aus migrantischen Milieus gibt es Zahlen des Mediendienst Integration.
Dabei bergen diese (wachsenden) Gruppen ein großes Potenzial: Sie bringen andere soziale Erfahrungen in die Medien und ein Verständnis für Menschen, die den etablierten Medien zunehmend als Publikum verloren gehen. Ihr Fachwissen und ihre Expertise aus früheren Berufen und Ausbildungen bereichern die Berichterstattung inhaltlich. Ihr beruflicher Spurwechsel macht sie oft flexibel, sozialkompetent und technikaffin.
Medienhäuser fördern Diversität in der Ausbildung
Große Medienhäuser haben das inzwischen verstanden. Die RTL-Journalistenschule akzeptiert Abitur, Fachabitur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung als formale Qualifikationen. Als „erste praktische Erfahrungen im Medienbereich“ gilt bei RTL auch ein eigener Blog oder ein eigener Kanal auf YouTube, Instagram oder TikTok.
Und auch öffentlich-rechtliche Sender haben reagiert. Beim SWR z. B. sind Abitur, Realschulabschluss und berufliche Erfahrungen ausreichende Voraussetzungen. „Idealerweise hast du digitale Vorerfahrung, zum Beispiel einen eigenen YouTube-/TikTok- oder Instagram-Account“, schreibt auch der SWR auf seiner Volontariats-Site. Andere Öffentlich-Rechtliche machen ebenfalls den Einstieg ohne Studium möglich.
Dieses Modell wird auch von privaten Ausbildungsstätten praktiziert. Die zum DFJV gehörende Deutsche Journalisten-Akademie (DJA) ermöglicht beispielsweise den Zugang zum Fernlehrgang Journalismus mit Abitur, einem Berufsschulabschluss und mindestens drei Jahren Berufserfahrung, oder mindestens fünf Jahren Berufserfahrung speziell im Mediensektor.
Auf der Suche nach regionalen Talenten
Dass neue Talenten nicht notwendigerweise nur in urbanen Akademikermilieus, sondern auch im ländlichen Raum und in den Mittelzentren zu finden sind, hat die Deutsche Journalistenschule (DJS) in München realisiert. Mit ihrem Projekt #DuKannstJournalismus tourte die DJS durch die Republik und suchte „junge, talentierte Menschen, die sich eine journalistische Karriere nicht zutrauen. Beispielsweise, weil sie aus einer Arbeiterfamilie kommen, in Armut aufgewachsen sind oder einen Migrationshintergrund haben.“ Für ihr Projekt „Regionalfellowships“ schickte sie Schüler:innen für dreimonatige Praktika in regionale Verlagshäuser. Hier ging es gezielt um Zugänge zum lokalen und regionalen Journalismus.
Voices of Brandenburg – Ein neues Ausbildungsmodell
Regionale Talente sind auch die Zielgruppe des Programms „Voices of Brandenburg“. Der Projektname erinnert sicher nicht zufällig an die populäre Musik-Coaching-Show „The Voice of Germany“. Initiiert hat das Projekt die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). Sie möchte dabei helfen, deutsche Redaktionen vielfältiger zu machen und vor allem mehr ostdeutsche Perspektiven in überregionale Medienhäuser zu bekommen.
Sünje Paasch-Colberg ist Referentin Fernsehen und Forschung bei der mabb und dort auch Ansprechpartnerin für die Voices. Sie versteht das Programm vor allem als eine Art Vor-Volontariat und ein Coaching: „Es soll den Teilnehmer:innen dabei helfen, sich Netzwerke aufzubauen, die sie aus strukturellen Gründen bisher nicht hatten. Im Austausch mit den Mentor:innen sollen sie in verschiedenen Medienhäusern erste Arbeitsproben sammeln können.“

Das sechsmonatige Coaching-Projekt – gerade ist der zweite Durchlauf gestartet – schickt erneut sechs journalistische Talente aus Brandenburg in die Spur. Ende Mai wurde das Bewerbungsverfahren geschlossen und jetzt wählt eine Jury die Voices für den neuen Jahrgang aus. Etwa 50 Bewerbungen sind eingegangen.
Verpflichtende Stopovers sind ein Einführungs-Workshop, Praxisphasen bei großen Medienhäusern (u. a. rbb, Deutschlandradio, dpa, RTL) und ein Akademieteil für das journalistische Basiswissen. Bewerber:innen brauchen keine journalistische Vorbildung und werden mit 1.400 Euro monatlich von der mabb unterstützt.
13 Medienhäuser sind als Ausbildungspartner mit an Bord, viele davon bereits zum zweiten Mal, weil sie mit dem ersten Jahrgang positive Erfahrungen gemacht haben. Sie bieten den Voices Praxis-Stationen in den Bereichen Audio, Bewegtbild und Text.
Profis als Coaches
Ein besonderer Benefit des Programms ist das Mentor:innensystem. Wie bei „The Voice of Germany“ werden die Kandidat:innen individuell und eng von Coaches, hier von erfahrenen Journalist:innen mit „Ost-Hintergrund“ und einem soliden Standing in den überregionalen Medien, begleitet.
Zu den Mentor:innen der aktuellen VoB-Ausgabe gehören die gebürtige Suhlerin Greta Taubert und die in Rostock geborene Marieke Reimann.
Taubert arbeitet als Freie u. a. für die Zeit und die SZ und hat als Autorin vor allem mit ihren Büchern, besonders mit dem Interviewband „Guten Morgen, du Schöner“ über ostdeutsche Männer der dritten Generation, große Medienresonanz ausgelöst. Reimann war bis Dezember Zweite Chefredakteurin des SWR und somit die erste und jüngste ostdeutsche Chefredakteurin bei einem öffentlich-rechtlichen Medium im Westen.

Als „Kind aus der ostdeutschen Provinz mit Handwerkerhintergrund“ ist Greta Taubert selbst über die Teilnahme an einem Förderprogramm („JONA, die journalistische Nachwuchsförderung der Konrad Adenauer Stiftung“) in den Journalismus gekommen. „Ich hätte es vielleicht auch ohne JONA geschafft, aber mit der Hilfe von Akademien, Lehrer:innen und Kon-Stipendiat:innen war es natürlich viel einfacher. Ich komme aus einem kleinen Dorf im Thüringer Wald und wusste einfach nicht, wie ich dem Süddeutschen Magazin ein Themenexposé schicken soll. Und ich habe mich einfach auch nicht getraut“, sagt Taubert heute. Die Nachwuchsförderung habe ihr damals ein Selbstbewusstsein gegeben, das sie so selbst nicht gehabt habe.
Netzwerke aufbauen, Arbeitsproben produzieren, journalistisches Selbstvertrauen entwickeln – Wie profitieren die Teilnehmer:innen?
Auch die Voices of Brandenburg standen – vor ihrer Teilnahme am Programm – vor derselben Situation. Zum Beispiel die Cottbuserin Mariya Druzyaka, Absolventin des ersten Voices-Durchgangs 2024. Eigentlich hatte sie „beruflich etwas mit Schreiben“ machen wollen. Dann studierte sie aber Soziale Arbeit auf Bachelor und hängte noch ein Masterstudium der Kultur- und Medienwissenschaften an. Doch selbst in diesem Studium fehlten ihr Praxiszugänge, um sich im Journalismus auszuprobieren. „Ich hatte lediglich ein zweimonatiges Praktikum beim Monopol Magazin in Berlin absolvieren können“, erinnert sich Druzyaka. Für weitere Praktika habe sie weder den sozioökonomischen Background noch das nötige Vitamin B gehabt. „Ich sah die Voices als letzte Chance, es doch noch in den Journalismus zu schaffen“, sagt sie rückblickend.
Auf die Frage nach den wichtigsten Learnings aus dem sechsmonatigen Trainingsprogramm nennt sie zunächst das „journalistische Grundgerüst“, das man ihr vermittelt hat: „Wie geht eine gute Recherche und wo fange ich damit an? Wie führe ich ein gutes Interview? Wie bereite ich es vor und wie bereite ich es nach? Wie schreibe ich eine Reportage? Wie schneide ich einen Radiobeitrag?“ Vor allem aber sei durch die Voices-Teilnahme ihr persönliches Auftreten viel souveräner geworden. „Ich war gezwungen, meine Komfortzone zu verlassen, Dinge auszuprobieren und natürlich auch mal zu scheitern zwischendrin und das dann aber auch auszuhalten“, sagt sie.
Empfehlungen einer Voice of Brandenburg
Nach ihren Empfehlungen für Menschen gefragt, die gerne Journalist:in werden möchten, dabei aber vor ähnlichen Hürden stehen wie sie früher, nennt Druzyaka eine ganze Reihe von Maßnahmen:
Man solle sich ein Förderprogramm suchen, ähnlich den Voices. Man solle sich (auch) nach Volontariaten bei lokalen Medien umsehen: „Viele lokaljournalistische Häuser suchen aktuell Nachwuchs und können ein sehr guter Start in eine journalistische Karriere sein“, rät sie. Vor allem aber solle man früh damit beginnen, sich ein Netzwerk aufzubauen. „Hier hatten wir bei den Voices natürlich die Mentor:innen an der Seite. Mein Mentor, Jonathan Sachse von Correctiv, hat mich stark auf das Thema Lokaljournalismus vorbereitet. Wir haben sehr viele Gespräche in Vorbereitung auf einen Job geführt“, erinnert sie sich.
Wo sind die VoB beruflich gelandet?

Mariya Druzyaka ist nach ihrer VoB-Ausbildung recht schnell fest als Reporterin bei der Lausitzer Rundschau angestellt geworden. Ihre Kollegin Pamela Kaethner ist fest bei der MOZ gelandet und eine dritte Kollegin arbeitet als Werkstudentin beim Netzwerk Recherche. Ein weiterer Absolvent hat einen Werkstudentenjob beim ZDF bekommen und schreibt nebenher frei für die Märkische Allgemeine Zeitung.
Zwei Absolvent:innen besuchen (wieder) die Uni: Ein Kollege studiert an der Filmuniversität in Babelsberg, eine Kollegin startete ein Studium der Medienpädagogik. Möglichweise hat das Programm auch zu einer Korrektur falscher Vorstellungen und Erwartungen bezüglich des Berufs Journalist:in geführt. „Wir waren allerdings altersmäßig auch sehr gemischt. Ich, als eine der Älteren, wollte beruflich durchstarten“, sagt Mariya Druzyaka.
Im rbb-Medienmagazin vom August 2024 schilderten VoB-Absolvent:innen ihre persönlichen Entwicklungsgeschichten.
Fazit
In einer immer heterogeneren Gesellschaft sind vorwiegend homogen besetzte und geleitete Redaktionen ein zunehmendes Problem. Sie bilden nur Ausschnitte der sozialen, ethnischen, kulturellen und geografischen Realität des Landes ab.
Ausbildungsstätten, ob öffentlich-rechtlich oder privat, und Journalistenschulen haben das verstanden und steuern dagegen. Sie senken formale Zugangshürden und akzeptieren digitale Kompetenzen als Qualifikationen.
Wenn Praktika und Volontariate zentrale Zugangswege zum Journalismus sind, müssen sie besser finanziert oder staatlich subventioniert werden. Menschen aus sozial schlechtergestellten Milieus werden sonst ausgeschlossen.
Programme wie „Voices of Brandenburg“ könnten Blaupausen werden für neue Wege in der Journalismusausbildung – vor allem durch ihre kompakte Form und kurze Dauer, durch die bezahlte Ausbildungsvergütung, durch die Mischung aus Theorie und Praxis und durch die Netzwerkeffekte, die die Betreuung der Teilnehmer:innen durch bekannte Journalist:innen zur Folge haben. Vor allem vermitteln sie aber ein Selbstbewusstsein und eine Sicherheit im persönlichen Auftritt, die Neulingen im Mediengeschäfts sonst oft fehlt.
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).