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Lena Cassel: „Zu laut und zu bunt“?

22.04.2025 Carola Leitner
Lena Cassel: „Zu laut und zu bunt“?Rezension zu „Aufstiegskampf. Vom Seitenrand in die Primetime“ (2025)


Rezension zu „Aufstiegskampf. Vom Seitenrand in die Primetime“ (2025)

In ihrem aktuell erschienen, autobiografischen Buch erzählt Lena Cassel, ehemalige Fußballerin und heutige Sportjournalistin, Podcasterin und Moderatorin, von ihrem Leben: Dazu gehören ihre (Fußball-)Familie, das Coming Out, Vorurteile und Impostor-Syndrom. Darüber hinaus ist es ein Plädoyer für das „so sein können, wie man ist“.

Mit acht Jahren verdient Lena Cassel zum ersten Mal Geld mit ihrem Fußballspiel. Für ein Weitschusstor im Derby macht Opa Herbert „einen Fuffi locker“. Bis zu diesem Zeitpunkt galt das Mädchen nicht unbedingt als Torjägerin, eher im Gegenteil: „Ich war dafür bekannt, mich mit meinen Mitspielern – und Gegnern – während des Spiels zu unterhalten, manchmal verquatschte ich mich zuweilen sogar mit den Zuschauern an der Seitenlinie …“. Doch damit ist nach diesem ersten Geldsegen Schluss. Der Sport wird wichtiger und Fußball-Verein, Ascheplatz und Gummikäfig, wo sie als einziges Mädchen mitspielen darf, fungieren für das Arbeiterkind fortan oft als Schutzschilder gegen die Welt.

Aller Anfang ist schwer

Lena Cassel wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Der alkoholkranke Vater ist meist abwesend und die Mutter versucht in den 1990er- und 2000er-Jahren mit zahllosen Nachtschichten als Krankenschwester, Lena und ihre ältere Schwester durchzubringen. So erlebt sie eine von Geldnot und Unsicherheit geprägte Kindheit. Doch in und zwischen den Zeilen des Buches „Aufstiegskampf. Vom Seitenrand in die Primetime“ stecken neben Wehmut auch viel Humor, Zuneigung und Freiheit.

Die unbeaufsichtigten Nachmittage, an denen die Mutter ihren Schlaf nachholt, verbringen die beiden Schwestern vor dem TV-Gerät mit Reality-Talk-Formaten: „Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass ich die ersten großen Lehren über das Leben von eben diesen Fernsehikonen gelernt habe: Alkohol macht süchtig. Wenn man betrügt, dann trennt man sich.“ Die Widerstände, von denen Cassel berichtet, scheinen oft groß bis unüberwindlich, doch sie kämpft unerbittlich um ihren Platz.

Retter Opa Herbert

Lena wechselt die Fußballvereine, steigt auf und landet schlussendlich als semiprofessionelle Spielerin bei einer Damenmannschaft. Doch auch hier gibt es Hindernisse. 500 Euro als Ablösesumme will der SV Allner Bödingen vom SC Fortuna Köln für den Vereinswechsel. Trotz Interesse an der vielversprechenden Spielerin heißt es von Fortuna Köln, man zahle keine Ablöse. Für Spielerinnen, wie Cassel anmerkt. So muss sich die junge Frau selbst mit Opa Herberts neuerlicher Finanzspritze freikaufen.

Damenfußball und TV: Vom Safe Space zur Ernüchterung

Der Damenfußball entwickelt sich zu Cassels Safe Space, doch die Ernüchterung folgt bald. Der klangvolle Name Fortuna Köln erweist sich als „Mogelpackung“, Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis zueinander. „Wir waren die am höchsten spielende Mannschaft im Verein und wurden behandelt wie Amateure. Von uns wurde professionelle Hingabe gefordert, was wir bekamen, war das Gegenteil davon. Und das nur, weil wir keinen Penis hatten.“

Doch es geht nicht nur um den Ballsport: Die Autorin flicht immer wieder Informationen ein, die auch weniger Fußball-affine LeserInnen spannend finden werden. So verweist sie auf einen entlarvenden Videoclip des französischen Sender Orange TV, der zum Auftakt der Frauen-Weltmeisterschaft 2023 viral ging und gängige Klischees aufgreift.

Neben dem Sport arbeitet die junge Frau an einer Supermarktkasse und später bei der Deutschen Post. Doch bald winkt eine neue Chance: Werkstudentin im Archiv der Sportschau. Irgendwann hat Cassel vier Jobs, ein Studium, eine halbwegs ambitionierte Fußballkarriere sowie eine Fernbeziehung – und schläft nicht mehr. Erst tagelang, dann wochenlang. Nach einem Außendreh für stern TV, bei dem sie einem Nilpferd die Zähne putzt, steht sie kurz vor einem Burn-out. Cassel kündigt alle vier Jobs und zieht 2019 zu ihrer Freundin nach Berlin. Dort hilft ihr eine „alte Dame“ wieder auf die Füße: Hertha BSC. Sie moderiert das Wochenrückblicks-Video „Eine Woche in Blau-Weiß“ und zeigt bereits beim ersten Auftritt, dass sie nicht nur ihr Handwerk versteht, sondern auch für eine lockere Atmosphäre sorgt.

Blick hinter die Fassade des Fußballjournalismus

In „Aufstiegskampf“ zeichnet Cassel in 23 Kapiteln ihren Werdegang nach, beginnend beim Arbeiterkind, das aufgrund der im Second-Hand-Laden gekauften Kleidung von anderen gehänselt wird, bis hin zum Talkshow-Gast im Hugo-Boss-Anzug bei Markus Lanz. Cassel, die mittlerweile als Sport-Moderatorin bei DAZN sowie bei Prime Video verpflichtet ist und die Podcasts MML Daily mit Maik Nöcker sowie Playing Dirty – Sport und Verbrechen mit Daniel Müksch betreibt, lässt die LeserInnen auch hinter die Fassade blicken. So kämpft sie vor der Liveausstrahlung der Lanz-Show zum Thema „Fußball-WM in Katar: Schauen oder boykottieren?“ im Jahr 2022 gegen eine Panikattacke. Sie ist wieder einmal die Person, die nicht so recht ins Bild zu passen scheint: Cassel ist nicht nur der jüngste, sondern auch der einzige weibliche Gast. Bereits Jahre zuvor hatte der Sportschau-Chef der jungen Frau attestiert, sie sei „zu laut und zu bunt“ für die Arbeit vor der Kamera, denn in „einem TV-Studio mit einem Experten könne das niemals funktionieren, weil ja der Gast strahlen müsse und nicht die Moderatorin“. Hätte er dies auch zu einem männlichen Kollegen gesagt? Cassel verneint dies.

Offene Worte und unbequeme Wahrheiten

Den eigentlichen Auftritt in der Lanz-Show kommentiert die Autorin im Buch zwar nicht, doch lässt sich dieser in Auszügen auf YouTube anschauen. Von Selbstzweifel oder gar Panik ist in der Sendung nichts zu bemerken. Im Gegenteil: Cassel ist diejenige, die sich traut, eine unbequeme Wahrheit auszusprechen, und fragt in die sportlich hochkarätig besetzte Runde: „Was hat Katar dem Weltsport und dem Fußball gebracht? (…) Sehr viele Tote.“

Zur Erinnerung: Laut Recherchen der britischen Tageszeitung The Guardian starben seit der Vergabe der Fußball-WM an Katar mehr als 6.500 Gastarbeiter. Viele davon wohl auf Baustellen, die mit der WM in Verbindung standen. Die FIFA hat zwar einen 50-Millionen-Dollar-Fond eingerichtet, doch die unzähligen auf den Baustellen verstorbenen Wanderarbeiter erhalten davon keinen Cent, wie Amnesty International kritisiert. Die Münchner tz zitiert die Sportjournalistin Cassel: „Herr Hoeneß hat ja Andreas Rettig (Anmerkung der Redaktion: Fußballfunktionär und Trainer) als König der Scheinheiligen betitelt, ich würde den Ball mal zurückspielen. Ich finde es scheinheilig, dass man sich auf der einen Seite das Geld aus Katar in die Taschen steckt und auf der anderen Seite aber scheinbar für gewisse Werte wie Vielfalt steht. Das konterkariert sich doch.“ All jenen, die sich nicht mehr an Uli Hoeneß und seine Katar-Verteidigung erinnern, sei ein Artikel im Spiegel empfohlen.

Auf Cassels Input zur WM-Vergabe 2034, die nach derzeitigem Stand an den einzigen Bewerber Saudi-Arabien gehen wird, darf man gespannt sein. Julian Nagelsmann, Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, will jedenfalls nicht, dass sich der DFB von den belastenden politischen Themen beeinflussen lässt.

Als Frau in einer Männerwelt

Cassel hat, wie sie auf ihrem LinkedIn-Profil schreibt, zwei Jahre lang an „Aufstiegskampf“ gearbeitet. Das Ergebnis ist nicht nur ein Buch über Fußball, Familie, erste Liebe, Tod und ein Coming-out, sondern auch ein mitreißend und amüsant verfasster Text, der einen über so manche der Autorin widerfahrene Ungerechtigkeit oder Situation mitärgern, nachdenken oder lachen lässt.

Mit Feingefühl beschreibt sie Szenen ihrer Kindheit und Jugend. Die preisgünstige, von der Mutter rasch zusammengerührte Suppe wird zu einem Sinnbild für die Lebensrealität ihres jungen Ichs: „Für mich war die Zucchinicremesuppe wie das Leben selbst in dieser Zeit zwischen acht und zwölf: viel Zusammenhangloses, das püriert ein großes Ganzes ergeben sollte, aber eigentlich doch nur im leisesten Ansatz fertig schmeckte.“

Neben dem Fußball geht es um das Frausein in einer männerdominierten (Sport)Welt und die Geschlechteridentität. Die schambehaftete Frage, ob sie Junge oder Mädchen sei, begleitet Cassel von der Grundschule bis in die Pubertät. „Wenn mich jemand nicht einsortieren konnte, wurde es schnell persönlich und existenziell. Wenn man nicht genau sagen konnte, was oder wer man war, verlor man die Daseinsberechtigung.“ Während sie ihre Liebe zu Frauen anfangs noch vor Mutter und Schwester verheimlicht, geht sie später in die Offensive und bringt die Freundin wie selbstverständlich eines Tages mit nach Hause.

Im Interview-Podcast „From Done to Dare“ mit dem ehemaligen deutschen Fußballnationalspieler und jetzigen Podcast-Host Arne Friedrich sagt sie, dass sie ein glaubwürdiges Vorbild sein wolle. Sie sei als einzige Frau in einer Talkrunde mit Männern nicht nur Lena Cassel, „sondern ich bin DIE Frau, die da sitzt. Ich repräsentiere DIE Frauen“. Diese Verantwortung empfinde sie manchmal als Druck.

„I mean, really?“

„Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind. Man weiß nie, wann er zuschlagen wird“, zitiert Cassel den Autor Benedict Wells in ihrem Buch – und trifft damit ins Schwarze. Denn trotz des beeindruckenden Aufstiegs, für den sie hart gearbeitet hat, scheint es, als ob sie immer noch gegen das Impostor-Syndrom, auch Hochstapler-Syndrom genannt, anzukämpfen hätte. Dabei handelt es sich um das insbesondere bei Frauen weit verbreitete Phänomen, eigene Leistungen unterzubewerten. Doch wer so wie Cassel als einzige Frau in einer männlich dominierten Talkshow-Runde sitzt und auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen wagt, hat – gender hin oder her – definitiv mehr „Eier in der Hose“ als die anderen. Und zum Thema Hochstapelei sei die Autorin an eine selbst im Buch getätigte Aussage erinnert: „I mean, really?“

Fazit

Lena Cassels Buch „Aufstiegskampf“ geht weit über die Darstellung der verbindenden Kraft des Fußballs hinaus. Es erzählt nicht nur die Geschichte ihres Werdegangs in einer von Männern dominierten Welt, sondern ist auch ein Plädoyer für das „so sein können wie man will“, egal wo man sich gendertechnisch verortet sehen will. Das einst vernichtende Urteil „zu bunt und zu laut“ ist heute Cassels Markenzeichen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Buchcover von Lena Cassel: Aufstiegskampf. Vom Seitenrand in die Primetime.

Buchdaten:
Autorin: Lena Cassel
Titel: Aufstiegskampf. Vom Seitenrand in die Primetime.
Klappenbroschur
Preis: 18 € (D) und 18,50 € (A)
Umfang: 224 Seiten
Erscheinungsjahr: 2025
Verlag: Tropen
ISBN: 978-3-608-50268-8

Lena Cassel wurde 1994 in Köln geboren. Sie spielte in mehreren Fußballvereinen als Stürmerin, studierte Medienwissenschaften in Siegen und Audiovisuelle Medien in Bonn. Nach ihrem Abschluss als Master arbeitete sie als Reporterin und Moderatorin, u. a. für stern TV, HerthaTV und den ZDF Fußball-Talk „Mainzer Keller“. Seit der Spielzeit 2022/23 präsentiert Cassel für Prime Video die Höhepunkte der Champions League und bei DAZN Bundesliga-Übertragungen und moderiert den Podcast Fussball MML Daily, gemeinsam mit Maik Nöcker, sowie den Podcast Playing Dirty – Sport und Verbrechen, mit Co-Host Daniel Müksch. Cassel lebt in Berlin.

 


Die Rezensentin Carola Leitner, Dr. phil., promovierte 2016 im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet(e) als Buchhändlerin, Buchproduzentin, Lektorin und Reise- und Kulturjournalistin. Tätigkeit für den Residenz Verlag, Ueberreuter, Metro Verlag, die Tageszeitung Der Standard oder ORF.at. Sie unterrichtet Journalismus an der FH Wien der WKW sowie Verlagswesen an der Universität in Wien, wo sie derzeit lebt und arbeitet.

 

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