„Mafia-Themen gehören in Italien zum ganz normalen journalistischen Tagesgeschäft“
Ein Interview mit Petra Reski.
Seit mehr als 30 Jahren lebt die im Ruhrgebiet geborene Petra Reski als freie Journalistin und Schriftstellerin in Italien. Wegen ihrer Veröffentlichungen über die Mafia in Italien und auch Deutschland war sie Klagen und Drohungen ausgesetzt und erhielt sogar temporär Polizeischutz. Weitere Themen der mehrfach preisgekrönten Medienschaffenden sind ihre von Klimakrise und Massentourismus bedrohte Wahlheimatstadt Venedig sowie die Entwicklung Italiens seit 1989. Im Interview erzählt sie, was sie zur Berichterstattung über die Mafia bewegt, spricht über die damit verbundenen Risiken – und berichtet, wie sie von der Ruhrpottlerin zur beinahe „echten Venezianerin“ wurde.
Seit 1989 schreiben Sie über die italienische Mafia und haben zu diesem Thema mehrere Sachbücher und Romane veröffentlicht. Sie wurden dabei mehrfach persönlich bedroht und auch mit juristischen Klagen überzogen. Was treibt Sie an, immer wieder Ihre berufliche Existenz und auch Ihr Leben zu riskieren?
Ich habe damals eine Reportage in Palermo gemacht. Es ging um den sogenannten „Frühling von Palermo“ unter Bürgermeister Leoluca Orlando. In dem Jahr fiel die Berliner Mauer – und diese Aufbruchstimmung spiegelte sich auch in Italien seinerzeit wider: Man glaubte, dass die Mafia nun endlich besiegt werden könne, da die Staatsanwälte Falcone und Borsellino als unbestechliche Superstars im Kampf gegen das organisierte Verbrechen galten. Beide wurden kurz darauf ermordet. Aber mit vielen Protagonisten jener prägenden Zeit bin ich bis heute verbunden.
Mafia-Themen gehören in Italien zum ganz normalen journalistischen Tagesgeschäft. Folglich war es normal, dass ich darüber berichtet habe. Aktuell hat die Wahrnehmung der Mafia in den Medien leider wieder abgenommen, aber wer sich mit diesem Thema beschäftigt, bleibt natürlich dran. Mich bewegt also ein ganz normales journalistisches Interesse.
Aktuell hat die Wahrnehmung der Mafia in den Medien leider wieder abgenommen, aber wer sich mit diesem Thema beschäftigt, bleibt natürlich dran.
Seit den Duisburger Mafiamorden 2007 im Ristorante „Da Bruno“ erhielten kriminelle Syndikate wie die ‚Ndrangheta deutlich mehr Aufmerksamkeit in den deutschen Medien. Haben diese Morde Sie indirekt bei Ihrer Arbeit unterstützt und Recherchen erleichtert? Hat sich überhaupt etwas seitdem geändert?
Nein, geändert hat sich nichts. Die Duisburger Mafiamorde waren nur insofern relevant, als die Deutschen aus ihrem langjährigen Schlaf erwacht sind. Nun konnte die Existenz der italienischen Mafia in Deutschland nicht mehr geleugnet werden. Dabei ist die italienische Mafia in Nordrhein-Westfalen bereits seit den 1960er-Jahren aktiv.
Im Oktober 1990 wurde in Italien ein junger Staatsanwalt ermordet, der einen Waffenhandel zwischen deutschen und italienischen Gruppierungen aufgedeckt hatte. Die Killer kamen aus Deutschland, aus Dormagen und Leverkusen. Staatsanwalt Falcone, der 1992 ermordet wurde, bekam seinerzeit einen Drohbrief aus Wuppertal, ebenfalls in NRW gelegen. Es gibt also bereits eine sehr lange Vorgeschichte vor diesen Duisburger Mafiamorden, auch wenn diese Zeichen immer gern als Folkore verharmlost wurden.
Die italienische Mafia ist in Deutschland bestens vernetzt. Dazu gehören auch deutsche Ehefrauen, Steuerberater, Anwälte und solvente Geschäftspartner. In Deutschland wird zur Mafia meist nur wegen Drogenhandels ermittelt, während in Italien bereits die Mitgliedschaft in der Mafia strafbar ist. Es wird in Deutschland auch viel über die sogenannte Clan-Kriminalität berichtet, nicht aber über die italienische Mafia, die bereits seit Jahrzehnten Geld in Deutschland wäscht: Die ‘Ndrangheta hat schon in den 1960er-Jahren die Lösegeldzahlungen, die bei Entführungen geflossen sind, in Deutschland investiert.
In Italien werden die Antimafiagesetze unter Meloni gerade wieder eingeschränkt, damit nicht mehr gegen korrupte Politiker ermittelt werden kann. Die Mafia hat in der Vergangenheit aber immer sehr bewusst mit Politikern kooperiert. Daher sorgt diese sogenannte Justizreform für einen staatlich geschützten Amtsmissbrauch.
„Eine investigative Reporterin wird eingeschüchtert und von der Wochenzeitung Der Freitag im Stich gelassen“, schrieb die FAZ 2017. Wie war das damals, als Verleger Jacob Augstein Sie 2017 in einem Rechtsstreit hängenließ? Was können freie Journalisten daraus lernen?
Freie Journalisten sollten früh genug eine gute Rechtsschutzversicherung abschließen. Ich habe damals aus öffentlichen Gerichtsurteilen zitiert, aber ein italienischer Gastronom aus Erfurt hatte Augstein eine einstweilige Verfügung zugestellt, die dieser sofort und ohne mit mir Rücksprachen zu halten unterschrieben hatte. Obwohl die Richterin meinem Anwalt bestätigte, dass die Klage gegen mich aussichtslos sei, da es sich um zulässige Gerichtsberichterstattung handele, wurde ich verurteilt und danach von dem Erfurter Gastronom auch noch auf Geldentschädigung verklagt. Dank Crowdfunding konnte ich eine Summe von 25.000 Euro einnehmen, mit der ich die Gerichts- und Anwaltskosten bezahlt habe. Den Prozess wegen Geldentschädigung konnte ich gewinnen.
Alle Journalisten, die nach mir über die Mafia in Deutschland geschrieben haben und verklagt wurden, haben ihre Prozesse verloren. Auch der MDR. Die Zivilrichter in Deutschland haben anscheinend keine Ahnung, wen sie da vor sich haben. Ich wurde vor Gericht und auf Lesungen bedroht und hatte in Deutschland vorübergehend Polizeischutz. Auf diese Weise sollen kritische Journalisten mundtot gemacht werden. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern und konnte auch eine sehr große Solidarität erleben, vor allem in Italien, wo viele Journalisten unter Polizeischutz leben müssen.
Alle Journalisten, die nach mir über die Mafia in Deutschland geschrieben haben und verklagt wurden, haben ihre Prozesse verloren.
Deutschland ist mittlerweile nicht nur zum Spielfeld der italienischen Mafia geworden. Wie beurteilen Sie die internationalen Entwicklungen der organisierten Kriminalität in der Bundesrepublik? Was ist der Unterschied zu Italien, wo Sie seit vielen Jahren leben?
Ich kenne mich vor allem mit italienischer organisierter Kriminalität in Deutschland aus, aber ich weiß: Wenn einzelne Mafia-Gruppen wie Russen oder Vietnamesen auffallen, dann ist das eigentlich immer als Schwachstelle zu bewerten. Auffälligkeiten helfen der Polizei schließlich enorm bei der Ermittlungsarbeit.
Alles, was man nicht sieht, ist das wirkliche Problem – und dazu gehört in Deutschland die Geldwäsche. Italienische Clans haben schon vor Jahrzehnten an der deutschen Ostseeküste groß eingekauft. Aber auch das Geschäft der Mafia mit Migranten und Migrantenströmen birgt große Gefahren. Obwohl die gegenwärtige italienische Regierung versucht, die Antimafiagesetzgebung zu schwächen, ist die italienische Justiz immer noch weiter, gerade was die Abhörpraxis und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Gruppierung betrifft.
Sie haben auch schon Mafiosi interviewt. Wie nehmen Sie den Kontakt auf und wie bereiten Sie sich auf diese besonderen Gespräche vor? Sprechen Sie Ihre Interviewpartner direkt auf deren kriminellen Lebensweg an oder gibt es spezielle Verhaltenskodexe?
Es ist keine große Sache, einen Mafioso zu interviewen. Nur darf man keine ernsthaften Inhalte erwarten, sondern wird eher als Sprachrohr missbraucht.
Also wendet man sich besser an abtrünnige Mafiosi, die aus Gründen der Haftverkürzung mit dem italienischen Staat kooperieren. Man stellt einen Antrag für ein Interview mit einem ehemaligen Mafioso an der entsprechenden Stelle im Innenministerium. Dann wird man für ein Interview an einen konspirativen Ort zitiert, etwa an eine Tankstelle oder Supermarkt, und zum Treffen gebracht. Diese Leute leben ja unter Polizeischutz. Man muss auf derartige Termine aber recht lange warten. Vor Kurzem saß ich in einem Café mit zwei älteren Herren, der eine ein Kronzeuge und lebenslanger Killer, der andere hatte in Ägypten wegen Drogenhandels eine zwanzigjährige Haft wegen Drogenhandels abgesessen. Das waren zwei echte Reuige. Aber es gibt ebenso viele, die allein pragmatische Gründe haben, wie eben die genannte Haftverkürzung.
Es ist keine große Sache, einen Mafioso zu interviewen. Nur darf man keine ernsthaften Inhalte erwarten, sondern wird eher als Sprachrohr missbraucht.
Am interessantesten sind viel mehr die Leute in der sogenannten Grauzone, also Priester oder Politiker. Ohne die Grauzone könnte die Mafia gar nicht existieren.
Sie arbeiten auch als freie Auslandskorrespondentin, schreiben unter anderem in deutschen Zeitungen wie der F.A.Z. oder der taz über Umweltkatastrophen und Massentourismus in Ihrem selbstgewählten Lebensmittelpunkt Venedig. Was raten Sie jungen Journalisteninnen und Journalisten, die Ihren Weg einschlagen möchten?
Der freie Journalismus stellt ein großes Risiko dar, auch finanzieller Art. Davon leben zu können ist heute noch einmal deutlich schlechter geworden als vor etwa 30 Jahren. Deshalb kann man Einsteigern heute eigentlich nicht mehr empfehlen, frei zu arbeiten. Hilfreich ist es auf jeden Fall, sich breit aufzustellen, also nicht nur für einen Auftraggeber zu arbeiten, und auch für das Radio, für Podcasts und vielleicht auch Bücher zu schreiben.
Meine Mafia-Themen kann ich nicht unbedingt empfehlen, weil das Risiko, verklagt zu werden, sehr groß ist. Und inzwischen gibt es immer weniger Redaktionen, die im Ernstfall vor Gericht hinter einem stehen. Darauf kann man sich leider nur sehr selten verlassen.
Ihre Sachbücher und Romane über das Thema Italien sind sehr erfolgreich. War der Weg von der Journalistin zur Schriftstellerin eine große Herausforderung? Und haben Sie Tipps für journalistische Nachahmer, die auch in den Buchmarkt einsteigen möchten?
Ich hatte den Buchmarkt damals eigentlich gar nicht im Fokus, aber dann hatte mich aufgrund meiner Veröffentlichungen ein damaliger Cheflektor angesprochen. Heute blicken die Verlage auch auf die Social-Media-Profile, um eine besondere Expertise als Alleinstellungsmerkmal zu sichten. Erzählerische Talente sind immer gefragt. Man sollte sein Handwerk beherrschen. Wer mag, kann wie bei den redaktionellen Themenvorschlägen seine besondere Geschichte den Verlagen in einem Exposé mitteilen.
Erzählerische Talente sind immer gefragt. Man sollte sein Handwerk beherrschen.
Man braucht natürlich etwas Glück. Der Buchmarkt ist Schwankungen unterworfen. Im Lockdown etwa hatten alle mehr Zeit zum Lesen, was sich positiv auf mein Venedig-Buch ausgewirkt hat. Heute verbringen die Leute leider mehr Zeit auf Instagram als mit der Lektüre von Büchern.
Sie sind von der Ruhrpottlerin zur beinahe echten Venezianerin geworden. Welche Rolle spielt dabei Ihr italienischer Lebenspartner? Wären Sie auch ohne ihn in Venedig hängengeblieben?
Hängengeblieben ist ein schönes Wort: Ich habe mich nicht in Venedig verliebt, sondern in einen Venezianer, der sich nicht vorstellen kann, woanders zu leben. Ein normales Leben in Venedig zu führen, ist inzwischen allerdings ziemlich schwer: Die touristische Monokultur hat alles aufgefressen. Dauerhaft leben hier gerade einmal etwa 30.000 Einwohner, davon ist die Hälfte über 80 Jahre alt. Dazu kommen dann mehr als 33 Millionen Touristen jedes Jahr.
Venedig ist für die Italiener ohnehin eine Art Fremdkörper, was aber auch umgekehrt gilt: Hier ist man zuerst Venezianer, dann erst Italiener und will eigentlich mit dem italienischen Nationalstaat nicht viel zu tun haben. Aber trotz allem empfinde ich es als Privileg, hier zu leben – vor allem, weil ich ein kleines Fischerboot fahre, was mein ganzes Glück ist.
