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BVerfG-Urteil: Keine heimliche einstweilige Verfügung gegen die Presse

von Ass. jur. Anne-Christine Herr und Rechtsanwalt Christian Solmecke

Das BVerfG hat heimliche einstweilige Verfügungen in Pressesachen verboten. Wer eine Publikation verhindern oder eine Gegendarstellung erwirken will, kann die Journalisten künftig nicht mehr mit einem Gerichtsbeschluss überraschen. Redaktionen & Co. müssen die Möglichkeit haben, sich vorher zur Sache zu äußern. Auch richterliche Hinweise dürfen nicht mehr nur an eine Seite ergehen.

Wem Pressemeldungen nicht gefallen, der kann diese nicht mehr schnell und heimlich per einstweiliger Verfügung (eV) unterbinden lassen. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in zwei nun veröffentlichten Beschlüssen entschieden, dass im Presse- und Äußerungsrecht keine einstweiligen Anordnungen ohne vorherige Anhörung der Gegenseite ergehen dürfen. Das gebiete das grundrechtsgleiche Recht auf prozessuale Waffengleichheit (Beschl. v. 30.09.2018, Az. 1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17).

Worum ging es in den beiden Fällen?

Sowohl die Spiegel-Verlagsgruppe als auch das Recherche-Netzwerk Correctiv hatten Verfassungsbeschwerde gegen sie betreffende einstweilige Verfügungen eingereicht:

Gegen den Spiegel-Verlag hatte ein Moderator 2017 eine eV erwirkt und verlangt, dass im Magazin eine Gegendarstellung abgedruckt werde. In dem Artikel ging es um ein Steuersparmodell, das der Mann als Vermieter einer Yacht betrieben haben soll. Nachdem der Spiegel auf eine Abmahnung des Fernsehmoderators nicht reagiert hatte, erwirkte dieser letztlich beim Oberlandesgericht (OLG) Hamburg die gewünschte eV. Der Spiegel sollte danach eine Gegendarstellung abdrucken. Das Problem war: Der Hamburger Verlag erfuhr mit dem sofort rechtlich bindenden Gerichtsschreiben erstmals von dem Verfahren. Und das, obwohl das Verfahren nach über vier Monaten bereits in der nächsten Instanz gelandet war und es eine umfangreiche Kommunikation zwischen Richtern und Anwalt des Moderators gegeben hatte.

Im Fall des Recherche-Netzwerks Correctiv war die streitgegenständliche eV sogar ohne vorherige Abmahnung ergangen. Das Recherche-Netzwerk hatte über den Verlauf einer Aufsichtsratssitzung in einem Unternehmen berichtet und dieses mit Korruptionsvorwürfen in Verbindung gebracht. Dabei soll es um den Verkauf von U-Booten in das europäische Ausland gegangen sein. Auf Antrag des Unternehmens erließ die Pressekammer des Landgerichts (LG) Köln sofort eine eV gegen Correciv und verpflichtete es, die Berichterstattung zu unterlassen. Ein eingelegter Widerspruch führte zu keinem Erfolg.

BVerfG – heimliche einstweilige Verfügungen in Pressesachen verboten

Bislang war ein solches Vorgehen gerade (aber nicht nur) in den Pressekammern üblich gewesen, sodass solche Verfügungen für Betroffene meist überraschend kamen und sofort Bindungswirkung entfalteten. Denn solche Praktiken sind eigentlich in der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht vorgesehen. Regelmäßig sollen die Gegner auch im eV-Verfahren vor Ergehen einer Entscheidung angehört werden – einstweilige Verfügungen sollen zwar schnell, aber nicht heimlich ergehen.

Dieser missliebigen Praxis hat das BVerfG nun konsequenterweise einen Riegel vorgeschoben. Ein solches Vorgehen verletze die Journalisten in ihrem verfassungsrechtlichen Anspruch auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Vielmehr müssten auch die Gegner in solchen Fällen die Gelegenheit haben, sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Es sei daher trotz der Eilbedürftigkeit in Pressesachen verfassungsrechtlich geboten, den Gegner vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand zu setzen wie den Antragsteller.

Allerdings könne auf die mündliche Verhandlung in dringlichen Fällen weiterhin verzichtet werden, stellte das BVerfG klar. Gerade dies könne im Presserecht häufiger vorkommen, weil es sich hier meist um schnelllebige Sachverhalte handelt – insbesondere Online-Angebote werden ständig aktualisiert, außerdem können die Inhalte in den sozialen Medien weiterverbreitet werden. Daher müsse in Pressesachen nicht selten zunächst ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Zukünftige Voraussetzungen für eine wirksame eV in Pressesachen

Sollte eine Zeitung also künftig in einer Art und Weise berichten, die Betroffenen nicht gefällt, muss die Zeitung nun zunächst angehört werden, bevor ein Artikel unter Umständen auf gerichtliche Anordnung hin verschwinden oder korrigiert werden muss. Wie genau diese Möglichkeit, sich zu äußern, aussehen muss, wird aber eine Frage des Einzelfalls sein. Möglich ist etwa eine vorherige Abmahnung, auf die das Medium dann mit einer Stellungnahme reagiert. Die Stellungnahme muss dem Gericht dann aber auch vorgelegt werden und das Gericht muss sie auch in der Entscheidung berücksichtigen.

Außerdem dürfen die Richter ihre richterlichen Hinweise nicht mehr nur den Antragstellern zukommen lassen, sondern müssen diese auch an das betroffene Medium schicken. Hierzu müssen auch mündliche Hinweise schriftlich ausreichend dokumentiert und weitergeleitet werden. Der Betroffene soll vor Erlass einer Entscheidung in den gleichen Kenntnisstand versetzt werden wie der Antragsteller.

Sollte entgegen dieser Grundsätze eine eV gegen Journalisten, Verlage oder andere Presseunternehmen ergehen, so können sie gegen diese gerichtlich vorgehen.

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