Neue Regelungen dürfen nicht auf dem Rücken von Medienschaffenden ausgetragen werden.
Mit dem Entwurf für eine Änderung des Bundeskriminalamt-(BKA) Gesetzes vom 6. August 2024 (im Volltext hier zu sehen) sorgte Nancy Faesers Innenministerium gleich in mehreren Kreisen für Kopfschütteln. Die Änderungen sollen dem BKA vor allem neue, tiefgreifende Befugnisse geben – darunter heimliche Wohnungsdurchsuchungen, automatisierte Kriminaldatenanalysen und der Einsatz biometrischer Search-Softwares. Datenschützer und Grundrechtsexperten zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit, und auch im journalistischen Bereich fragt man sich: Was bedeutet das für unsere Arbeit? (von Rechtsanwalt Christian Solmecke, WBS.legal / DFJV Redaktion)
Der Bundespräsident sprach zuletzt im ZDF-Sommerinterview über ein Gesetzgebungsvorhaben, das „die Zuständigkeiten des BKA bei Terrorismusgefahr erweitern“ soll. Anlass war das tragische Messerattentat in Solingen, das die Debatte um Gefahrenabwehr und Asylrecht extrem aufgeheizt hat. Dennoch wäre ein übereiltes Vertrauen in die vorgesehenen Maßnahmen schädlich für einen demokratischen Rechtsstaat.
Doch was ist geplant? Neben dem BKA sollen auch die Bundespolizei (BPolG) und Landespolizeien neue Befugnisse erhalten. Mit dem Entwurf möchte man auch eine neue EU-Richtlinie (über den Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden) umsetzen. Im Mittelpunkt der Debatte stehen jedoch drei neue staatliche Instrumente, die darin als „punktuelle Anpassungen“ bezeichnet werden. Die Änderungsvorschläge des Justizministeriums zur Erschwerung staatlicher Abhörung – wir berichteten vor einem Jahr – wurden bisher durch das Innenministerium blockiert.
Die geplanten Befugnisse
An erster Stelle steht die Befugnis, heimlich in Wohnungen von Verdächtigen einzudringen, um auf dortigen Endgeräten Spionagesoftwares zu installieren. Der Einsatz solcher Überwachungsprogramme ist nicht neu: Seit 15 Jahren darf das BKA, seit 2017 jede Polizei digitale Kommunikation durch Spionageprogramme mitverfolgen (sog. Quellen-Telekommunikationsüberwachung – „Quellen-TKÜ“). Bisher ist man allerdings darauf angewiesen, die Geräte von Verdächtigen aus der Ferne zu infizieren – per „Staatstrojaner“.
In der Begründung des Entwurfs heißt es, für eine effektive Durchsetzung sei nunmehr ein „physischer Zugriff“ erforderlich – etwa bei Geräten, die nur für bestimmte Funktionen oder nicht täglich genutzt werden. Dass die Polizeibehörden zu diesem Zweck heimlich in die Wohnung von Verdächtigen eindringen dürfen, ist ein rechtliches Novum und verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) ist es nur sehr schwer vereinbar, dass Bürgerinnen und Bürger mit einem heimlichen Zutritt durch Ermittlungsbeamte rechnen müssen. Für die Unverletzlichkeit der Wohnung sieht das Grundgesetz selbst zwar auch zulässige Ausnahmen vor (Art. 13 Abs. 3-7 GG), die Anforderungen sind aber bereits für Staatstrojaner enorm hoch. Und bereits hiergegen ist vor dem Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde anhängig (Az. 1 BvR 18/23). Ein physischer Zutritt in die Wohnung ohne Wissen der Bewohner könnte nun den grundrechtlichen Rahmen sprengen.
Zweitens sieht der Entwurf eine automatisierte Auswertung polizeilicher Datenbanken vor. Dazu sollen die Datenbanken des BKA und der Bundespolizei „technisch zusammengeführt“ werden, um sie zur Gefahrenabwehr automatisch analysieren zu können. Schon die anlasslose Zusammenführung der Datenbanken ist aus datenschutzrechtlicher Sicht bedenklich. Eine angrenzende KI-gestützte Verarbeitung ist zwar nicht per se verfassungswidrig. Aber das Bundesverfassungsgericht hat die Messlatte für automatisierte Datenanalysen hoch angesetzt. Demnach bildet die automatisierte Analyse schon erhobener Daten einen neuen Eingriff in das Datenschutzgrundrecht, der bei einem staatlichen Eingriff auch einzeln gerechtfertigt werden muss (s. Urt. v. 16.02.2023, Az. 1 BvR 1547/19, 1 BvR 2534/20). Ob das Innenministerium diese hohen grundrechtlichen Hürden bedacht hat, ist fraglich. Den Polizeibehörden könnten kaum weitreichendere Befugnisse im Umgang mit den gesammelten Daten eingeräumt werden – entsprechend hoch ist hier der Begründungsaufwand für den Gesetzgeber. Dass durch die Analyse nur Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ verfolgt werden, genügt dem nicht ohne Weiteres. Auch im Übrigen sind die Details der Umsetzung unklar – die Begründung benennt etwa keine Kontrollmechanismen, die die Fehlerrate oder den Bias der Algorithmen begrenzen würden.
Schließlich will der Entwurf einen KI-gestützten biometrischen Bildabgleich mit Internetquellen erlauben. Mit KI-Softwares wie „PimEyes“ könnte man vorhandene Bilder mit einer schier unerschöpflichen Datenbank abgleichen: Dem Internet selbst. Damit könnte tatsächlich ein Lücke geschlossen werden, wie der Fall der Ex-RAF Terroristin Daniela Klette gezeigt hat. Hier war es Journalisten mithilfe von PimEyes lange vor den Behörden gelungen, Klette anhand frei zugänglicher Bilder zu identifizieren. Der Entwurf lässt allerdings offen, wie mit der Gefahr von „False Positives“ umzugehen ist. Ein weiteres (datenschutz-)rechtliches Problem besteht darin, dass auch mit Bildern abgeglichen wird, die die Betroffenen nicht selbst hochgeladen haben, sondern auf denen sie nur im Hintergrund zu sehen sind. Auch aus diesem Grund ist fraglich, ob die geplante Maßnahme überhaupt verhältnismäßig sein kann.
Gefahr für die Pressefreiheit
Als journalistische Interessenvertretung sehen wir in den oben genannten Vorschlägen die Gefahr gravierender Eingriffe in die tägliche Arbeit von Medienschaffenden – sprich in die Pressefreiheit, das Redaktionsgeheimnis und den Informantenschutz. Der DFJV spricht sich daher mit Vehemenz gegen die Gesetzesvorschläge aus.
Das rechtliche Problem ist nicht neu. Schon mit der breiten Einführung von Staatstrojanern im Jahr 2017 ergab sich für die journalistische Arbeit ein Problem: Die Rechtsgrundlagen erlauben auch eine Überwachung von Kontaktpersonen, die Mitteilungen des Beschuldigten entgegennehmen. Das kann auch den Nachrichtenverkehr zwischen einem Investigativjournalisten und einem Informanten betreffen. Durch die geplante Wohnungsdurchsuchungsbefugnis wird auch dieses Problem verstärkt, da es häufiger zu einer erfolgreichen Infektion mit Spionagesoftware kommen kann.
In der Theorie bedeutet eine Gesetzesänderung allein zwar noch keine Welle an rechtswidrigen Eingriffen. Für eine digitale Überwachung durch das BKA braucht es zum Beispiel eine „dringende Gefahr“ für hohe Rechtsgüter im öffentlichen Interesse (z. B. Staatssicherheit, Leib und Leben), es darf nur laufende Kommunikation überwacht werden und eine anderweitige Verhütung müsste aussichtslos sein. Einige gesetzliche Rechtsbegriffe – etwa die dringende Gefahr – sind dabei allerdings durchaus offen formuliert und bedürfen richterlicher Auslegung. Außerdem braucht es stets einen gerichtlichen Beschluss. Es genügt auch nicht, dass eine staatliche Maßnahme nur dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, sie muss auch darüber hinaus verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass sie im Hinblick auf das verfolgte Ziel (hier: Verhütung von schweren Straftaten) unter mehreren Mitteln dasjenige sein muss, das am wenigsten in die Rechte des Betroffenen eingreift. Bei einer Wohnungsbetretung müsste die Behörde etwa die Dringlichkeit der drohenden Gefahr mit den genannten Grundrechten des Wohnungsinhabers abwägen. In dieser Abwägung können mehrere Grundrechte eine Rolle spielen. journalistischer Investigativarbeit müssen neben dem Persönlichkeitsrecht auch Pressefreiheit, Redaktionsgeheimnis und Informantenschutz in die Waagschale geworfen werden. Das steigert die Hürden für eine rechtmäßige Maßnahme erneut. Geht es dann auch noch um eine heimliche Wohnungsbetretung und nicht um einen Fernzugriff, steigen die Anforderungen so stark an, dass nur noch absolute Ausnahmefälle zulässig sind.
Soweit die rechtliche Theorie, aber in der Praxis erhöht eine durchlässige Gesetzesänderung das Risiko von rechtswidrigen Maßnahmen. Und im Falle einer illegalen Wohnungsbetretung ist der Schaden dann jedenfalls (psychologisch) angerichtet, unabhängig davon, ob sie sich später als rechtswidrig herausstellt. Auch der Informantenschutz würde allein durch die Möglichkeit einer Durchsuchung in gewisser Weise ausgehöhlt: Tippgeber könnten umso weniger darauf vertrauen, dass ihre Angaben vor Abhörung sicher sind. Schon im Jahr 2022 wurden 53 Geräte mit Staatstrojanern infiziert, von entsprechenden Beschlüssen gab es 109. Und die Presse ist davon durchaus bereits betroffen gewesen: Seit Oktober 2022 hatte die bayrische Polizei etwa 13 Pressetelefonanschlüsse der Letzten Generation mitgehört, um ihr die Bildung einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen (§ 129 StGB). Übrigens erfolglos.
Die anderen Änderungsvorschläge sind zwar für die redaktionelle Arbeit im Allgemeinen eventuell weniger relevant. Die Zusammenlegung und automatisierte Auswertung der Polizeidatenbanken betreffen bereits bei den Behörden vorliegende Daten. Auch die KI-gestützte biometrische Suche ist eher eine Frage der Vereinbarkeit staatlichen Handelns mit Datenschutzrechten. Es ist jedoch denkbar, dass in diesen Methoden zuvor abgehörte Daten zum Einsatz kommen – was den Abschreckungseffekt bei Informanten verstärken könnte.
Fazit und Ausblick
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen: Schon im Entwurfsstadium trifft der Vorschlag auf starken politischen Gegenwind. So hat zuletzt Justizminister Marco Buschmann auf X klare Worte gefunden und sich gegen das „heimliche Schnüffeln in Wohnungen“ positioniert: Im Staat des Grundgesetzes mache man so etwas nicht. Er kündigte auch an, dass der Vorschlag weder das Kabinett passieren noch eine Mehrheit im Bundestag finden werde.
Zudem ist nicht klar, warum die Verschärfung des Gesetzes genau notwendig ist. Die technischen Details von Staatstrojanern werden streng geheim gehalten. Entsprechend wenig kann man darüber lesen, wo genau die Defizite des Fernzugriffs liegen, und inwiefern ein erlaubter physischer Zugriff auf Wohnungen und Endgeräte sein muss. Es ergibt sich ein zwar verständlicher, aber schier unauflösbarer Konflikt zwischen staatlicher Geheimhaltung und der demokratischen Informationspflicht.
Etwaige neue Befugnisse dürfen nach Ansicht des DFJV nicht auf dem Rücken von Medienschaffenden ausgetragen werden. Wie schon im Kontext der Staatstrojaner selbst müsste auch hier unbedingt Sonderregelungen stattgegeben werden, die dem Informantenschutz und dem Zeugnisverweigerungsrecht ausdrücklich Rechnung tragen. Zu erörtern wäre etwa, eine Abhörung von Nachrichten gesetzlich zu untersagen, die sonst unter das Zeugnisverweigerungsrecht fallen würden. Schaffen es die Details zum Journalistenschutz in kein Gesetz, bleibt nur zu hoffen, dass die richterlichen Beschlüsse und polizeilichen Abwägungen in der Praxis die Pressefreiheit gebührend gewichten. Wie erfolgsversprechend das wäre, sei hier dahingestellt.